"Hundebesitzer sind SO dumm!"
Dieser Satz stammt nicht etwa von einem Hundehasser oder von einem über liegengelassene Kothaufen verärgerten Spaziergänger – der Ausspruch kam von einer Hundetrainerin. Sie klagte mir ihr Leid darüber, dass entsetzlich viele Hundehalter viel zu wenig über Hunde wissen und deshalb falsch mit ihnen umgehen würden. Da sie noch nicht lange in der Branche tätig war, wurde sie aus ihrem enthusiastischen Engagement offenbar recht unsanft auf den Boden der Tatsachen geholt.
Der verallgemeinernden Aussage über die geistigen Fähigkeiten meiner hundehaltenden Zeitgenossen kann ich nicht pauschal zustimmen. Zwar blickt ein Hundetrainer mit Sicherheit beim Training in tiefere Abgründe, als ich sie beim täglichen Spaziergang wahrnehme – allerdings hat er es auch mit Menschen zu tun, die bereits Handlungsbedarf in Sachen Hundetraining und damit „Fortbildung“ sehen. Damit ist der erste Schritt in die richtige Richtung schon getan.
Bis zu einem gewissen Punkt muss ich der Trainerin trotzdem recht geben: es ist tatsächlich erschreckend, wie wenig die meisten Hundehalter über die körperlichen und geistigen Bedürfnisse und Fähigkeiten ihrer Vierbeiner wissen. Von anatomischen oder gar medizinischen Belangen reden wir hier noch gar nicht – da wird es dann oft wirklich gruselig.
Und dann darf man nicht lachen...
Mit einer Mischung aus Belustigung und Entsetzen erinnere ich mich an einen Patientenbesitzer in der Hundephysiopraxis. Bei der Terminvereinbarung teilte mir der Mann am Telefon mit, dass sein Hund am Knie operiert worden sei. Der arme Kerl würde aber immer noch humpeln und deshalb habe man ihn zu mir geschickt. Das Fortbestehen einer Lahmheit kommt nach einer Kreuzband-OP gar nicht so selten vor, lässt sich aber im Normalfall sehr schön behandeln. In dieser Annahme freute mich also auf unseren ersten Termin.
Bei der Erstbefundung tastete ich den Hund ab und wunderte mich still darüber, dass die Knie beidseits in einem absolut wünschenswerten Zustand waren: voll beweglich und bemuskelt, keine Schwellung oder Erwärmung zu fühlen. Allerdings war sofort zu sehen, dass ein Ellbogen vor kurzem rasiert worden war. Ich fragte beim Besitzer nach, was denn mit dem Ellbogen passiert sei. Er antwortete etwas verwundert: „Da ist er doch operiert worden! Deshalb bin ich hier.“ Ich war überrascht: „Ich dachte, er sei am Knie operiert worden?“ Seine Antwort fiel knapp und leicht säuerlich aus: „Natürlich am Knie. Am VORDEREN Knie!“
Der gute Mann hatte also seinen Hund beim Tierarzt wegen einer Lahmheit vorgestellt, es musste mindestens ein (eher mehrere) Röntgenbilder geben und es hatte eine Operation stattgefunden. Ganz sicher war in der Tierarztpraxis jedes Mal vom Ellbogen gesprochen worden – niemals vom „vorderen“ Knie. Und trotzdem war dieser Hundebesitzer fest davon überzeugt, dass ein Hund vier Beine habe und deshalb auch vorne und hinten Knie.
Die Aufklärung darüber, dass man beim Hund zwar von Beinen spricht, die Vorderbeine des Hundes aber trotzdem anatomisch mit unseren Armen vergleichbar sind, fiel zum Glück auf fruchtbaren Boden. Dem Besitzer war es zwar ein wenig peinlich, dass er mich (wie er zugab) zuerst für ein bisschen verrückt gehalten hatte, als ich im Vierfüßerstand deutlich machte, was es mit dem Vergleich zwischen hundlicher und menschlicher Anatomie auf sich hat. Aber er kam mit seinem Hund zum nächsten Behandlungstermin wieder und redete von da an tatsächlich ganz stolz von der Verbesserung für den ELLBOGEN seines Hundes durch die Physiotherapie.
Dumm ist nur, wer Dummes tut.
Mein persönliches Fazit aus dieser Geschichte: Ich kann Wissen nur vermitteln, wenn ich an der Basis anfange. Und dort dann ganz ohne Frust oder Überheblichkeit auch Dinge erkläre, die ich als selbstverständlich vorausgesetzt habe. Das hat mit Dummheit überhaupt nichts zu tun – es ist schlicht Unwissenheit. Und der können wir nur immer wieder durch Aufklärung begegnen.
Es spielt keine Rolle, ob wir hier von Hundeverhalten, Präventionsmaßnahmen in Sachen Hundegesundheit oder Allgemeinwissen rund um den Hund reden. Alle Experten auf diesen Gebieten – angefangen in der Tierarztpraxis, über die Hundeschule, bis hin zur Hundephysiotherapie – können und sollten diesen Aufklärungsgedanken umsetzen. Wer seinen Beruf dem Wohlergehen des Hundes gewidmet hat, trägt eine gewisse Verantwortung dafür, sein Wissen und Können verständlich weiterzugeben, auch für Anfänger in Sachen Hundehaltung. Wenn es sein muss, jeden Tag aufs Neue und immer wieder von vorne oder von „ganz unten“.
Selbstverständlich existieren auch hier Grenzen, die jeder für sich selbst definieren muss. Wenn ich den Hundebesitzer in der Hundephysiopraxis darüber aufkläre, weshalb für seinen Arthrosepatienten ausgiebiges Bällchenwerfen so gar keine gute Idee ist und ebendiesen Hundehalter täglich auf der Hundewiese beim Ballspiel mit seinem Hund sehe, liegt es in meinem Ermessen, die Behandlung dieses Hundes einzustellen.
Die Frage ist nur: Was hat der Hund davon? Seine Situation wird sich nicht verbessern, denn er wird weiterhin mit Ballwerfen bespaßt werden. Nur hat jetzt kein Außenstehender mehr ein Auge auf den gesundheitlichen Zustand dieses Hundes. Und eine der wenigen Chancen, den Hundebesitzer in seiner Vernunft doch noch zu erreichen, zum Umdenken zu bewegen und ihm Alternativen aufzuzeigen, ist verschenkt.
Manchmal wird das Herz doch schwer.
Es gibt natürlich vereinzelt Fälle, in welchen die Kooperation mit einem bestimmten Hundehalter so gar nicht funktioniert und deshalb beendet werden sollte. Wenn aufgrund vorsätzlichen Fehlverhaltens (und nicht aus Unwissenheit!) seitens des Hundebesitzers absehbar ist, dass für das Tier absolut nichts erreicht werden kann, wird man sich wohl damit abfinden müssen. Wenn der Ehrgeiz über das Hundewohl gestellt und keine Rücksicht auf den vierbeinigen Freund genommen wird, wird es ganz hässlich...
Eine Patientenbesitzerin, die ihren rückenkranken (!) Schäferhund am Wochenende auf Prüfungen führte, verabreichte zu diesen Anlässen Schmerzmittel und stand, den Tränen nahe, regelmäßig montags vor der Tür, weil es dem Tier so schlecht ging. Nach der dritten ernsten Ansprache – Aufklärung hatte im Vorfeld reichlich stattgefunden – sagte ich ihr ganz deutlich, dass sie nicht mehr zur Behandlung kommen müsse, sollte sie ihren Hund auch nur noch ein einziges Mal in eine derart belastende Turniersituation schicken. Ich habe sie und ihren Hund nie wieder gesehen.
Und trotzdem!
Mir brach damals beinahe das Herz bei dem Gedanken daran, was aus diesem Schäferhund wohl geworden sein mochte. Mein einziger Trost sind bis heute die unzähligen Patientenbesitzer, die sich für ihre vierbeinigen Freunde so richtig ins Zeug legten. Die ihre Wohnungen hundeseniorengerecht umrüsteten, die sich eine Einstiegsrampe fürs Auto kauften, die vom Bällchenwerfen auf Suchspiele umstiegen, die eine Treppe auf das Sofa bauten und extra einen ebenerdigen Bungalow für den Urlaub buchten.
Der Wille, dem Hund zu helfen, war bei all diesen wundervollen Hundebesitzern schon da. Ihnen fehlte nur noch die Anleitung zur sinnvollen Umsetzung, damit sie ihren geliebten Vierbeinern das Leben erleichtern konnten. Und das ist eigentlich ganz einfach: Wissen vermitteln, für Aufklärung sorgen, alltagstaugliche Tipps weitergeben. Fertig.