Schaeferhund auf Waldweg

„Ich wünsche mir einen Hund.“

Wie so viele Eltern haben auch meine diesen Satz unendlich oft gehört. Sehr zu meinem Leidwesen waren sie aber strikt gegen einen Hund in der Familie. Argumente gegen die Anschaffung eines Hundes lagen auf der Hand: dass man für einen Hund Zeit braucht und Platz und dass Hunde Dreck machen und zudem im Urlaub hinderlich sind. Einen richtigen Garten, der unbedingt zur Hundehaltung nötig wäre, hatten wir im Reihenmittelhaus auch nicht. Aus damaliger – und heutiger – Sicht für mich völlig unverständliche Einwände, aber so war es nun einmal.

Die tränenreichen Versprechen, sich aber tatsächlich auch wirklich selbst um den Hund zu kümmern und dass es auch nur ein kleiner Hund zu sein brauchte, ließen meine Eltern leider nicht weich werden. Kleine Haustiere wie Meerschweinchen, Wellensittich, Kaninchen und Farbmäuse gab es zwar – aber ein Hund durfte nicht einziehen. Was zum ersten Drama in Sachen Hundeerfahrung in meinem Leben geführt hat.

Der ausgeliehene Hund.

In unmittelbarer Nachbarschaft lebte ein Ehepaar mit einem Schäferhund-Mix aus dem Tierheim. Weil sie sich aus zeitlichen und gesundheitlichen Gründen nicht immer um den Hund kümmern konnten, durfte ich „Anka“ zum Spazierengehen abholen. So zog ich als ungefähr Zwölfjährige stolz wie Bolle mit einem hundeunverträglichen und überhaupt gar nicht leinenführigen Hund los und eroberte Feld, Wald und Wiese. Auf diese Weise hatte ich also doch einen beinahe eigenen Hund.

Wir lebten auf dem Land und zur damaligen Zeit gab es nur wenige Familienhunde. Der Jäger hatte einen Jagdhund, der Bauer einen Hofhund – aber die Hundehaltung im normalen Haushalt war auf dem Dorf noch nicht so verbreitet wie heute. Hundebegegnungen waren also eher kein Thema, ich konnte spazieren gehen, Bällchen werfen und mich von Anka in der Gegend umherziehen lassen, ohne dass das zu irgendwelchen Konflikten geführt hätte.

Unbeschwert und ungebildet unterwegs.

Unsere Dorfbücherei verfügte tatsächlich über ein paar wenige Bücher zum Thema „Hundeerziehung“, die ich begeistert verschlang. Aus einem lernte ich, wie man einen Kettenwürger richtig einfädelt und konnte Anka so auch ihr Halsband ohne Hilfe von Herrchen oder Frauchen anziehen. Was war ich stolz… Gleichzeitig musste ich aber auch feststellen, dass ein Würgehalsband den Hund keineswegs daran hindert, wie wild an der Leine zu ziehen.

Hundeschulen gab es keine, der nächste Hundeplatz war in der 10 Kilometer entfernten Stadt und damit für mich unerreichbar. So zogen Anka und ich völlig unbehelligt durch die Wiesen und Weinberge und ich war richtig stolz auf mich, dass ich bei wirklich jedem Wetter mit „meinem“ Hund draußen unterwegs war. Heute wäre es undenkbar und unverantwortlich, ein kleines Mädchen mit einem solchen Hund alleine losziehen zu lassen. Damals hat es mir das größte Glück beschert, das ich mir vorstellen konnte.

Vom Glück, das nicht ewig währt.

Dass ich so viel Zeit mit Anka verbringen konnte, hatte allerdings einen sehr unschönen Hintergrund: ihre Besitzerin war schwer krank. Als Frauchen nach langer Reha-Phase dann erneut ins Krankenhaus kam, war absehbar, dass sie nicht wieder zurückkehren würde. Anka war in dieser Zeit im Ort bei Verwandten der Familie untergebracht und ich konnte „meinen“ Hund einfach dort zum Spaziergang abholen.

Eines Tages erklärte mir die Familie, dass Anka vielleicht bald auf einen Bauernhof umziehen würde, denn nach dem Tod von Frauchen könne man den Hund nicht hierbehalten. Etwas beunruhigt startete ich deshalb zu Hause die Bettelei nach einem eigenen Hund – nämlich Anka, die ich auf keinen Fall einfach hergeben wollte – wieder aufs Neue. Leider vergeblich.

Endstation

Als ich wenige Tage später Anka zu unserer üblichen Runde abholen wollte, war sie nicht mehr da. Man hatte „meinen“ Hund einfach weggegeben. An diesem Tag brach für mich die Welt zusammen, so pathetisch das auch klingen mag. Und es kam noch schlimmer: zu spät erfuhr ich, dass man Anka nicht auf den versprochenen Bauernhof, sondern ins Tierheim gebracht hatte. Da sich niemand für die damals etwa fünfjährige Mischlingshündin interessierte, war sie nach einem Jahr Aufenthalt eingeschläfert worden. Das war zu dieser Zeit (vor mehr als 35 Jahren) tatsächlich erlaubte und gängige Praxis, auch in Deutschland.

Über den Verlust dieses Hundes, der nicht einmal mein eigener war, bin ich vermutlich bis heute nicht ganz hinweggekommen. Lange Zeit und noch viele Jahre später konnte ich keinen ihr ähnlichen Hund ansehen, ohne mit den Tränen zu kämpfen. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bis ich endlich den Mut fand, das Tierheim zu besuchen, in dem Anka damals ihr Leben beendet hatte. Dort beschloss ich, dass den Hunden im Tierheim meine Heulerei nicht nutzt und wurde ehrenamtlicher Gassi-Geher.

Pawprints in my heart.

Auch die schlimmsten Wunden heilen mit der Zeit, der Schmerz verblasst und das Leben geht sowieso einfach trotzdem weiter. Ich habe Anka nie vergessen – aber offenbar weit genug ins Unterbewusstsein gedrängt, um viele Jahre später eine Überraschung zu erleben. Denn Anka hatte ihre Spuren in meinem Leben hinterlassen und meine Zukunft heimlich, still und leise geprägt. Das habe ich allerdings nur durch Zufall entdeckt und war entsprechend erstaunt darüber.

connie

Connie

ivo

Ivo

djanna

Djanna

Etwa zwölf Jahre nach dem Drama um Anka zog endlich mein erster eigener Hund ein: Connie, eine graue Schäferhündin. Zu ihr gesellte sich später Ivo, ein stattlicher grauer Schäferhundrüde. Ihnen folgte Djanna, ebenfalls eine graue Schäferhündin. Alle waren sie Second-Hand-Hunde – irgendwo übriggeblieben oder überflüssig geworden. „Die Grauen“ haben mich fasziniert und auch heute noch muss ich lächeln, wenn ich irgendwo einen grauen Schäferhund sehe.

Der Zauber der Erinnerung.

Als Djanna bereits über ein Jahr bei mir und damit mein dritter grauer Schäferhund war, fiel mir ein altes Foto wieder in die Hände.

Es ist das einzige Foto, das ich von Anka habe und beim Betrachten des Fotos ging mir endlich das Licht auf:
Anka war die Miniaturausgabe eines grauen Schäferhundes.

Ich mit Anka