Die Freiheit des einzelnen Hundehalters.
Zur Zeit trifft man ja Hunde und ihre Menschen in Gebieten, die man bisher als verlassen und einsam kannte. Wo man bis dato sicher sein konnte, dass entspannter Freilauf möglich ist, ohne dass ein fremder Hund ungefragt und ungebremst auf den eigenen Hund zustürmt. Diese ruhigen Zeiten sind vorerst offenbar vorbei.
Zurück zur Natur.
Zugegeben: Wir sind da wirklich verwöhnt. In unserer Gegend kann man normalerweise selbst sonntags bei schönem Wetter die Begegnungen auf einem 2-stündigen Spaziergang an einer Hand abzählen. Und da sind auch hundelose Menschen schon mitgezählt.
Im Moment aber treffen wir nahezu überall Hunde, die wir bisher nicht kannten. Manche Besitzer nehmen die Sache mit der geltenden Abstandsregel ernst, leinen ihren Hund an, weichen großräumig aus und grüßen freundlich aus der Ferne. Ich gehöre auch zu dieser Sorte – wenn man mir die Möglichkeit dazu lässt. Andere sind hingegen offenbar froh über viele neue Kontakte und lassen dem Ganzen (und dem Hund) einfach freien Lauf.
Unverhofft kommt oft.
Wenn dann der Theo und die Bonnie unvermutet und dazu noch unangeleint um die Ecke biegen und Herrchen ganz entspannt nachgeschlappt kommt, kann das mit den 2 Metern Abstand unter Umständen schwierig werden. Vor allem dann, wenn der Theo und die Bonnie auf den Zuruf „Hier!“ und „Bei Fuß!“ noch nicht mal mit den Öhrchen zucken. Geschweige denn, sich zu ihrem Besitzer umwenden oder gar zu diesem zurückkehren. Da stehen einfach 2 x 30 kg stocksteif da und glotzen.
Und dann starten sie durch. Leider nicht zurück zu Herrchen, sondern direkt auf uns zu. Um gemeinsam vor Ort zu entscheiden, ob dieser fremde Hund jetzt zum neuen Kumpel ernannt wird oder man ihm doch lieber gleich das Fell über die Ohren zieht. Der Dude neigt in solchen Momenten zum Glück nicht zur sofortigen Explosion. Er wartet – vorsichtshalber ordentlich aufgeplustert – ab, was da vor ihm einschlägt und zieht dann erst seine Konsequenzen.
Abwarten und (Baldrian-)Tee trinken?
Ich kann in diesem Moment nicht viel mehr tun, als ihm die Leine lang zu lassen und darauf zu hoffen, dass seine eindrücklich imponierende Ausstrahlung auch dieses Mal wieder für Abstand und gesittetes Benehmen sorgt. Der Theo und die Bonnie überlegen kurz. Die Bonnie erinnert sich an ihre Altersweisheit und wendet sich brummelnd ab, um die graue Schnauze in den nächstgelegenen Haufen Pferdeäpfel zu stecken.
Der Theo ist nicht so schnell im Denken und offensichtlich auch etwas merkbefreit: Er schubst den Dude (der noch immer unbeweglich am selben Fleck steht) immer wieder derb mit der Schnauze an. Als er endlich merkt, dass das nicht fruchtet, beginnt er zu bellen. Da kommt dann schließlich auch Herrchen in die Puschen und ruft den Theo. Ein paar Mal. Vergebens.
Das ist (k)ein Grund zur Aufregung.
Der Theo regt sich fürchterlich darüber auf, dass der Dude IMMER NOCH einfach so herumsteht. Das Herrchen regt sich auf, weil ich doch endlich die Leine abmachen soll, damit der Theo spielen kann. Ich rege mich auch auf. Aber nur innerlich. Äußerlich sage ich ganz cool: „ Der Theo kriegt gleich fürchterlich eins aufs Maul gehauen, wenn er nicht aufhört.“ Herrchen wird hektisch, kommt näher und fragt säuerlich „Und von wem?!“.
Jetzt muss ich beichten. Die still gedachte Antwort wäre gewesen: „Von mir.“ Da man aber Hunde nicht schlägt, sage ich stattdessen (noch immer in ruhigem Tonfall): „Na, von dem da!“ und deute auf meinen Hund. „Der mag es gar nicht, wenn ihn fremde Rüden so anpesten.“ Herrchen versucht daraufhin, den Theo am Halsband zu schnappen und wegzuziehen. Der Theo kennt das Spiel aber offenbar schon und taucht gekonnt weg.
Abstandsgebot und Anstandsregeln.
Bei der nun folgenden Show wird es mit dem 2-Meter-Abstand-halten zunehmend schwieriger: Der Dude steht immer noch wie angewurzelt. Ich hoffe derweil nur inständig, er berechnet nicht gerade den effizientesten Einschlagwinkel und bleibt cool. Herrchen schimpft mit dem Theo, kriegt ihn aber nicht zu fassen. Die Bonnie hat mittlerweile den größten Teil des Pferdeapfel-Haufens verputzt.
Irgendwann macht der Theo einen taktischen Fehler und Herrchen kann ihn sich tatsächlich schnappen. Weil er keine Leine dabei hat, muss er den Theo jetzt halt am Halsband mitschleifen. Mein Hund lässt die Luft raus, die er bis eben angehalten zu haben scheint, dreht sich um und geht. Schon praktisch, so eine 5 Meter lange Leine. Die Bonnie hat sich längst dem nächsten, weiter entfernt gelegenen Pferdeapfel gewidmet.
Lieber lange Leine, als lange Leitung.
Blöd wär’s jetzt gewesen, die Leine wäre kürzer. Noch blöder, hätte ich mehr als einen Hund dabeigehabt – ist in dieser Konstellation auch schon vorgekommen. Das allerblödeste ist aber, dass das nicht die erste Begegnung mit der Bonnie und dem Theo war. Wir haben die vor einiger Zeit schon einmal getroffen, und zwar auf genau die gleiche Weise.
Klar, es ist ja nichts passiert und jeder konnte danach unversehrt seines Weges gehen. Kein Drama. Ist für den Dude und mich auch vergessen und abgehakt, sobald wir weitergehen können. Anders sieht das aus, wenn noch ein kleinerer Hund mit im Spiel ist (unsere Terrier-Mixin zum Beispiel). Da bin ich nicht ganz so gelassen, wenn zwei große Hunde auf uns zugestürmt kommen.
Einfach mal für andere mitdenken.
Oder mit einem alten Hund in Begleitung: Als Frau Schäferhund schon recht betagt und nicht mehr ganz sicher auf den Beinen war, habe ich solche Begegnungen regelrecht gefürchtet. Und genauso unlustig wird es, wenn man einen kranken oder frisch operierten Hund an der Leine hat. Da möchte man die Bonnie und den Theo auch nicht treffen.
Außerdem gibt es nicht wenige Hunde (und Besitzer), für die eine solche Begegnung einen schwerwiegenden Rückschritt im Training bedeutet. Einer der besten Hundekumpels vom Dude hat Probleme bei der Begegnung mit fremden Hunden. Die Besitzerin trainiert mit ihm deshalb intensiv, um entspannte Spaziergänge zu ermöglichen. Für dieses Team wäre das eine Horror-Begegnung gewesen.
Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben...
Da draußen gehen nun mal in Dreiteufelsnamen auch Hunde spazieren, die keine anderen Hunde treffen wollen. Weil sie Angst vor anderen Hunden haben oder fremde Hunde einfach wirklich nicht abkönnen. Das muss weder die Schuld der Besitzer sein, noch ist der Hund deshalb „gestört“. Da mag die Herkunft oder das Alter eine Rolle spielen oder ein schlimmes Erlebnis – die sind einfach so.
Auch ältere Hunde oder Hunde mit Schmerzen reagieren häufig äußerst unwirsch, wenn ein Theo oder eine Bonnie angestürmt kommt. Wenn sich ein Hund, der derart „überfallen“ wird, dann wehrt, ist meist der Teufel los. Denn der Theo und die Bonnie sind ja ganz liebe und wollen nur spielen. Und dem eigentlichen Opfer wird dann asoziales Verhalten attestiert.
Stell‘ dir einfach mal vor…
Davon einmal abgesehen ist das auch einfach keine höfliche Art der Begrüßung unter Hunden. Das menschliche Äquivalent wäre in etwa: ich renne einem wildfremden Spaziergänger schreiend entgegen und falle ihm um den Hals. Wenn der sich dann wehrt (weil er es mit der Angst kriegt, ich ihm wehgetan habe oder er es einfach unhöflich findet), kommt die Polizei und führt ihn ab. Ist irgendwie nicht in Ordnung, oder?
Für diejenigen, die dieses Szenario eher erheiternd finden: Stellt euch das Ganze im dunklen Wald vor und ersetzt den „wildfremden Spaziergänger“ durch eine 80-Jährige mit Gehstock (haben wir neulich beim Waldspaziergang tatsächlich getroffen). Wird es jetzt verständlich?
Leine los ist rücksichtslos.
Wie so häufig im Leben, könnte das alles viel einfacher sein. Rücksichtnahme tut nicht weh, ist eigentlich ganz leicht und kostet überhaupt nichts. Grundregel Nr. 1: Wenn mir ein angeleinter Hund entgegenkommt, leine ich meinen ebenfalls an. Keine Diskussion, ob der „lieb“ ist, ob Rüde oder Hündin – Leine dran und fertig.
Es soll sich auch niemand dafür rechtfertigen müssen, wenn der Hund angeleint ist und/oder Kontakt nicht erwünscht. Vielleicht ist die läufige Hündin gerade aus diesem Grund an der Leine, der Hund ganz neu im Haushalt eingezogen oder der jagdbegeisterte Vierbeiner kann (noch) nicht abgeleint werden. Das spielt alles keine Rolle und muss bitte diskussionslos akzeptiert werden.
Freiheit für alle!
Frei nach Immanuel Kant: Die Freiheit des einzelnen endet dort, wo die Leine des anderen beginnt. Oder einfacher ausgedrückt: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu. So betrachtet ist eine Hundeleine einfach nur dazu da, dem anderen ebenfalls einen ungestörten, entspannten Spaziergang zu ermöglichen.
Damit wir uns richtig verstehen: Natürlich sollen Hunde Freilauf haben dürfen. Das erlaube ich meinen selbstverständlich auch. Aber sie MÜSSEN nicht immer und überall frei laufen. Ich winke auch nett und grüße freundlich, wenn wir uns draußen (mit angeleinten Hunden) begegnen – versprochen!