Schäferhund nimmt Leckerchen aus den Fingern

Dem Beutegreifer auf der Spur.

Aus dem Wohnzimmer kam ein tiefes Seufzen. Nach unserem großen Sonntagsspaziergang hatte es sich Frau Schäferhund in ihrem Hundebett gemütlich gemacht und wartete auf das nächste Highlight des Tages: Abendessen. Bis dahin würde aber noch Zeit vergehen, denn es war erst Nachmittag und ich lag mit einem spannenden Buch im Schlafzimmer auf dem Bett.

Kurze Zeit später hörte ich, wie mein Hund sich auf den Weg in die Küche machte, um zu trinken. Und dann ein seltsames Geräusch: klockel-di-plockel. Danach leises Pfotentapsen zurück ins Wohnzimmer, das typische „Plumps“, mit dem sich das Schäferdings auf ihre Decke fallen ließ und im Anschluss die verräterischen Knurpsel-Geräusche, die beim Kauen harter Dinge entstehen.

Selbst gediebt schmeckt am besten.

Verwundert darüber, was mein Hund denn da wohl fressen mochte, schlich ich ins Wohnzimmer. Ich wollte einen Blick auf sie werfen, ohne bemerkt zu werden: da lag der Schäferhund und kaute glücklich an einer Möhre. Diese hatte sie ganz offensichtlich aus der Gemüsekiste in der Küche stibitzt! Heute würde ich lachen, die Gemüsekiste in Sicherheit bringen oder die Küchentür schließen. Damals hatte ich tatsächlich Tränen der Rührung in den Augen.

Warum es mich so bewegte, dass mein Hund sich ganz selbstverständlich in der Küche am Gemüse bedient hat? Weil das in der Anfangszeit mit diesem Second-Hand-Hund absolut undenkbar gewesen wäre. Sie wollte kein Futter aus meiner Hand nehmen und vom Boden schon gleich gar nicht. Ich tippe auf antrainierte Futterverweigerung (und zwar nicht „auf die nette Tour“) – was für uns beide zunächst einmal Stress bedeutete.

Angst essen Seele auf.

Andere trainieren intensiv, damit ihr Hund nur ja nichts vom Boden aufnimmt: es könnte ein Giftköder sein. An sich ein wirklich gutes und unter Umständen sogar lebensrettendes Argument – wäre da in diesem speziellen Fall nicht die Reaktion auf explizit angebotenes Futter gewesen. Als ich ihr das erste Mal ein Stück Pansen zuwarf, ließ sie es liegen und zeigte deutliches Meideverhalten: „Das ist ein Trick – da fall ich nicht drauf rein. Du willst, dass ich das nehme, und dann…“

Keine Ahnung, was „und dann…“ bei ihr war. Der Pansen lag jedenfalls bis zum Abend unangetastet im Garten. Kleingeschnitten und im Futternapf serviert, machte sie sich jedoch sofort darüber her. Es dauerte einige Wochen, bis unser Vertrauensverhältnis stabil genug war, um Futter aus der Hand oder ohne Napf anbieten zu können. Und zwar ohne dass Frau Schäferhund mit angelegten Ohren und eingeklemmter Rute den Rückzug angetreten hätte. Sich eigenständig und aktiv Essen anzueignen, war für sie trotzdem jahrelang undenkbar.

Übung macht den Meister. Und satt.

Dafür legte sie dann später im Leben noch ein paar Schippen drauf – die Möhren waren nur der Anfang gewesen. Unter Cortison und kastriert gewann die Fresslust die Oberhand und das Schäferhündchen landete ein paar unvergessliche Coups. Die verzweifelte Suche nach einem Rettich, den ich im Auto verschollen geglaubt hatte, endete im Hundebett. Hier fand ich noch die grünen Restschnipsel vom Blätteransatz: sie hatte sich das komplette Ding einverleibt und rülpste den ganzen Abend Rettichwolken.

Auch „Essen aus der Hand nehmen“ klappte irgendwann super. Nie werde ich den verdutzten Blick des Spaziergängers vergessen, als das Schäferdings ihm im Vorbeilaufen den angebissenen Apfel aus seiner Hand nahm und im Weitergehen genüsslich verspeiste. Zum Glück war der Mann nur völlig überrascht und konnte herzlich über die Aktion lachen – ich fand das Ganze damals reichlich peinlich…

Gelegenheit macht Diebe – und Profis.

Das Thema „Essensklau“ weckt bei mir immer noch Emotionen – mittlerweile jedoch eher gemischter Natur. Mit einem Hund, der die Küchentheke surft, wie ein australischer Dude die Wellen am Bondi Beach und der auch hemmungslos auf Tische klettert, um sämtliche Teller und Schüsseln „vorzuspülen“, bleibt wenig Platz für rührselige Gefühle. Da möchte ich eher zur Zeitung greifen, diese fest zusammenrollen, weit damit ausholen und mit den Worten „Was hast du wieder getan?!“…

…mir selbst um die Ohren hauen. Ich bin einfach zu schusselig, um Hunde vom Essenklauen abzuhalten und die gefährlichen Lebensmittel sind aus gutem Grund immer außer Reichweite untergebracht. Meine Unvorsichtigkeit hat mich erst kürzlich wieder eine halbe Tüte Gummibärchen gekostet – aber wenigstens kann ich es mit Humor nehmen. Und der Hundehaufen war auch hübsch bunt.