Der Australian Cattle Dog – ein Portrait mit vielen Gesichtern.
Um es vorab klar zu stellen: Ich schreibe hier von MEINEM Australian Cattle Dog. Ein paar wenige weitere ACD kenne ich persönlich, andere nur aus Gesprächen mit ihren Besitzern. Weder bin ich Rassekenner, noch Züchter. Und ich will’s auch gar nicht sein. Hier berichte ich von meinen Erfahrungen und Erlebnissen mit meinem Hund und ein bisschen von dem, was ich bei anderen beobachten und erfahren konnte.
Cattles sind nicht alle gleich und jeder Hund (egal, welche Rasse oder Mischung) ist ein Individuum. Es gibt jedoch Parallelen und ich mag die Art der Cattle Dogs, die ich kennenlernen durfte, einfach sehr. Wie bei jeder Rasse gibt es aber Eigenschaften, die bisweilen schöngeredet werden. Ich habe mit meinem Hund Glück und ein recht umgängliches und nettes Exemplar erwischt. Allerdings entsprechen meine Lebensumstände nicht dem klassischen Durchschnittshaushalt. Diese Tatsache macht das Leben mit diesem Hund möglich, anders wäre es sicher schwieriger oder womöglich gar nicht drin.
ACD kurz gefasst: Klein, aber oho!
Dass der Australian Cattle Dog in unseren Breitengraden doch relativ unbekannt ist, wurde mir erst bewusst, als einer bei mir eingezogen war. Werde ich nach der Rasse meines Hundes gefragt – ganz oft wird er für einen Mischling gehalten – muss ich die Antwort meist wiederholen, erklären oder auch übersetzen. Was normalerweise nicht großartig zur Aufklärung beiträgt, denn unter dem Begriff „Rindertreibhund“ kann sich längst nicht jeder etwas vorstellen. Kleiner Hund und große Kühe passen in den Köpfen der meisten Menschen nicht zusammen.
Womit wir beim ersten Knackpunkt wären: Cattles sind klein, sehen lustig aus und benehmen sich manchmal auch so. Sie werden deshalb in Rassebeschreibungen auch gerne mal als „Clowns“ bezeichnet. Dieser Clown hat jedoch auch im Rassestandard stehen, dass sein Schädel so geformt sein soll, dass der Tritt eines Rindes daran abgleiten kann. Wenn sich ein relativ kleiner Hund mit einem widerspenstigen 800-kg-Rindvieh anlegen und ihm sagen soll, wo es langgeht, muss er schon mehr auf der Pfanne haben, als Fröhlichkeit und Albernheiten. Und im Zweifelsfall ordentlich austeilen und einstecken können..
Freunde und Skeptiker
Erkennt jemand den Cattle Dog auf Anhieb, sieht man häufig entweder restlose Begeisterung oder deutliche Abneigung. Je nachdem, welche Erfahrung mit welchem Exemplar dieser Rasse gemacht wurden. Beim Tierarzt zum Beispiel sind die Australier offenbar nur mäßig beliebt, wie wir bei unseren Besuchen in diversen Praxen und Kliniken feststellen durften. Bei einem Tierarztbesuch mit dem Dude im Junghundealter kam beim Betreten des Sprechzimmers die Ansage: „Solche wie dich kenne ich. Benimm dich bloß, hier bin ich der Chef!“. Nun ja. Der „Chef“ für meinen Hund bin immer noch ich und das (gekonnte) Handling meines Hundes gebe ich nicht aus der Hand. Sind wir nicht mehr hingegangen.
In „unserer“ Tierarztpraxis hingegen hat der kleine Rote gleich mehrere Fans. Obwohl das aus diversen Gründen nur bedingt auf Gegenseitigkeit beruht. Man ist dort ohne Vorurteile auf ihn zugegangen und hat meine Ansage ernst genommen: nicht einfach anfassen und bitte nicht anstarren. Das mag der Dude bei Fremden nämlich gar nicht. Da wir über einen längeren Zeitraum sehr regelmäßig dort auflaufen mussten, konnten wir (trotz schmerzhafter Prozeduren) ein dickes Vertrauenspolster aufbauen und heute freut er sich tatsächlich, „seine“ Tierärztin zu sehen. Sein quietschendes Fiepsen vor dem Gebäude kündigt uns wirkungsvoll an.
Das Sound-Modul beim ACD: Tinnitus-Warnung!
Weil wir gerade bei der Stimme des Australian Cattle Dogs sind... Die ist ein Thema für sich, denn der Ausdruck „Cattle Cry“ entstand nicht etwa aus der Beschreibung trauriger Nutztiere – es ist eine sehr nette Umschreibung der Töne, die ein Cattle Dog in emotionaler Erregung von sich gibt. Wenn der Dude ganz ernsthaft warnt (weil z.B. ein Fremder ans Tor tritt), bellt er tief und eindrücklich, wie ein richtiger Hund. Platzt er allerdings einfach vor Begeisterung, weil wir zum Gassi aufbrechen, ist „Kreischen“ wohl eine treffendere Bezeichnung.
Dem Cattle wird ein „loses Mundwerk“ nachgesagt. Dem möchte ich nicht zustimmen, denn mein Australier bellt nur, wenn er einen Grund dazu hat. Die Gründe, die Stimme zu erheben, sind allerdings vielfältig. Hier sollte man sich vor Augen führen, wo und wie diese Hunde ursprünglich lebten – im australischen Outback war eine vierbeinige Alarmanlage nicht nur nützlich, sondern notwendig. Wir wohnen zum Glück weit außerhalb und mein Hund meldet nur das, was sich dem Grundstück unmittelbar nähert, macht also seinen Job. Ein Leben im Mehrfamilienhaus in der Innenstadt möchte ich ihm und mir (und den Nachbarn) nicht wirklich zumuten.
Wie ist er denn, DER Cattle Dog?
Neulich kam uns im Wald jemand entgegen und blieb mit dem Ausruf „Was ein schöner Hund!“ stehen. Normalerweise ist unsere Terrieristin diejenige, die von den Leuten angesprochen wird, weil sie so niedlich aussieht. In besagtem Fall war aber tatsächlich der Dude gemeint und das kommt nicht so häufig vor. Liegt zum einen daran, dass manche Menschen den vermeintlichen „Kampfhundmischling“ suspekt finden, zum anderen guckt mein Australier fremde Menschen maximal kurz aus dem Augenwinkel an. Um die angemessene Entfernung zu überprüfen und ob die Leute auch ja brav weiter ihres Weges gehen.
Es ergab sich ein kurzer Smalltalk, die Rassefrage wurde gestellt und weil der „schöne Hund“ nicht mit Fremden spricht, kam auch die Frage „Der ist nicht ohne, oder?“. Tja, wie ist er denn so, der Cattle Dog? Als ganz knappe Antwort fällt mir „Vielschichtig und divers.“ ein. Wer dann mehr wissen will, muss sich auf ein langes Gespräch gefasst machen. Denn die charakterliche Bandbreite reicht in etwa so weit, wie die der körperlichen Statur. So unterschiedlich, wie die Cattles optisch ausfallen können – rot oder blau, von relativ klein und zierlich/athletisch bis mittelgroß und kräftig-bullig gebaut – so unterschiedlich zeichnen sich ihre Charaktere.
…wie eine Schachtel Pralinen…
Es gibt sie, die Cattle Dogs, die ein offen-freundliches Wesen an den Tag legen, wenn sie auf Fremde treffen. Die sich mit anderen Hunden grundsätzlich gut verstehen, viele Freunde auf der Hundewiese haben und nett mit ihnen spielen. Die den Schornsteinfeger und Wasserableser freundlich begrüßen und diesen bei ihrer Tätigkeit entspannt vom Sofa aus zuschauen. Aber ganz ehrlich: das ist nicht das ursprüngliche Wesen des Australian Cattle Dog. Und das kann man einem solchen Typ auch nicht einfach „anerziehen“. Sozialisierung und Training sind schön und gut (und super wichtig!), aber die Grundstruktur bleibt.
Mein Hund ist zurückhaltend gegenüber fremden Menschen auf neutralem Gebiet, territorial auf dem eigenen Grundstück, abwehrend und durchaus verteidigungsbereit bei ungewünschter Annäherung. Das trägt er offen und zeigt es deutlich – wie seine Emotionen auch sonst dicht unter der Oberfläche liegen. Fremde Hunde werden freundlich begrüßt, wenn sie weiblichen Geschlechts sind (und sich an die Benimmregeln halten, die unter Hunden üblich sind). Höfliche, kastrierte Rüden können seine Kumpels werden. Unkastrierte Rüden findet er per se ganz blöd, kommt aber mit einzelnen, sorgfältig ausgewählten Exemplaren gut aus.
Mindset ist alles. Und Training. Und Erfahrung und…
Hundebegegnungen haben wir von klein auf als Statisten am Rande einer „Krawallgruppe“ trainiert. Dass man unterwegs mal von einem fremden Hund angebrüllt und ganz unverdient „Ar***loch“ genannt wird, kennt er und kann er sich schön beherrschen. Auch hat er so gelernt, nicht auf jede Provokation hin sofort aus dem Fell zu fallen. Das Image des Cattle Dogs als „Kneipenschläger“, der keiner Keilerei aus dem Weg geht, erfüllt der Dude also nicht. Trotzdem sollte man sich auch als Hund gut überlegen, wie man ihm gegenüber tritt.
Wir hatten mehrere unfreiwillige Begegnungen mit freilaufenden, intakten Rüden, die von „nur mal Hallo sagen“ bis hin zu „Alter, was atmest du meine Luft weg?!“ reichten. Die Hallo-Sager haben mehr oder weniger schnell gemerkt, dass sie in einem Minenfeld stehen. Und vorsichtig den Rückzug angetreten. Der weniger netten Fraktion konnte der kleine Rote durch „Stellung halten und Imponieren“ verdeutlichen, sich nicht mit ihm anzulegen. Dieser Hund hat den Mumm und die Nerven, einem mehr als doppelt so großen und schweren Kollegen allein durch Ausstrahlung ein Stoppschild vor die Nase zu halten.
Freund oder Feind? Ein Blick reicht.
Als Welpe war der Dude immer und überall ein fröhlicher Sonnenschein. Neugierig, offen für alles und jeden und allzeit bereit für Abenteuer. Doch er konnte bereits im Welpenalter ganz genau lesen, ob ihn jemand wirklich „niiiedlich“ und „süüüß“ fand – oder ob ihm eine gewisse Skepsis entgegenschlug. Es soll ja Menschen geben, die Hunde nicht mögen, nicht mal als Welpen (und ACDs sehen dazu relativ früh „reif“ aus). Diese Menschen hat er schon damals auf seine „brauch‘ ich nicht“-Liste gesetzt. Auf dieser Liste landeten auch Leute, die ihn geärgert oder erschreckt hatten und diese Liste führt der Dude bis heute. Wohl dem, der nicht darauf verzeichnet ist.
Zum Glück führt er auch eine Freundesliste, ebenfalls seit Welpentagen. Auf dieser Liste ganz oben stehen all jene Personen, die er schon als Welpe kennengelernt hat und die ihn wirklich von Herzen gern mochten. Einige haben es auch später noch auf die Freundesliste geschafft, ganz wenige findet er spontan sympathisch genug, um sich nicht von ihnen (oder sie von sich) fernzuhalten. Er hat noch immer ein sehr gutes Gespür dafür, wer ihn tatsächlich sympathisch findet. Und ein extrem scharfes Auge für „suspekte“ Personen oder Verhaltensweisen. Das muss ich im Alltag im Blick behalten, damit er hier keine eigenen Entscheidungen trifft.
Die Lunte ist kurz. Sehr kurz.
Betrachtet man wieder den Ursprung und die eigentliche Aufgabe des Cattle Dogs, sind diese „Listen“ selbsterklärend. Wer in abgelegener Gegend seine Menschen und ihren Besitz bewachen und verteidigen soll, muss Freund von Feind unterscheiden können. Auch im Umgang mit widerspenstigen Rindern ist es nützlich, Absichten rechtzeitig zu lesen, Aktionen vorhersagen und entsprechend reagieren zu können. Und reagieren tun sie, die Cattles: in einer blitzartigen Geschwindigkeit, die ihnen (gänzlich unberechtigt) den Ruf der Unberechenbarkeit eingebracht hat.
Es passiert nichts unangekündigt – lediglich der Reaktionszeitraum ist enorm kurz. Wenn der Dude erstarrt und „diesen Blick“ kriegt, ist es sehr nützlich, dass er auf Pfiff sofort zurückkommt. Oder bei einem fremden Tierarzt nur mit Maulkorb vorgestellt wird. Und cool genug ist, sich nicht auf eine Keilerei mit jedem dahergelaufenen Rüden einzulassen. Eine fundierte Bedienungsanleitung (auch gründliches Training genannt) für potentiell kritische Situationen ist daher unerlässlich. Frustrationstoleranz gehört nicht zu den Stärken meines Hundes – daran hat auch das Trainieren der Impulskontrolle von klein auf nichts verändert. Wenn das Fass voll ist, läuft es nicht über. Es explodiert einfach.
Erziehung ist, wenn man (trotzdem) lacht.
Den Dude habe ich bisher allerdings selten ernsthaft explodieren sehen. Meist explodiert er vor Begeisterung, Vorfreude oder Tatendrang. Wie viele seiner Hüte- und Treibhund-Kollegen ist er Meister in der Bildung von Verhaltensketten. Er lernt unglaublich schnell und verknüpft dabei auch Dinge, die nicht unmittelbar zusammengehören. Dabei bin ich im Laufe der Jahre in ein paar Fallen getappt, die das Training oder auch die Erziehung meines Hundes – sagen wir – behindert haben. Hier erlaube ich mir eine Verallgemeinerung: Cattle Dogs sind extrem clever.
Mein Australier empfindet es als großes Lob, wenn ich (seinetwegen) lachen muss. Als Erinnerung: was bei ihm ankommt, muss ehrlich sein. Nun hat er im Laufe seines Lebens schon viele wirklich lustige Aktionen gebracht, die mich herzlich haben lachen lassen. Vielleicht bin ich leicht zu erheitern, aber als humorloser Mensch wird man mit einem ACD wohl eher nicht glücklich. Das kann jedoch zu Missverständnissen führen beim Erlernen neuer oder bei der Festigung bereits bekannter Übungen. Denn auch in Sachen Kreativität ist der Dude ganz vorne mit dabei und leicht zu begeistern.
Der kreative Cattle Dog: ein Beispiel.
Schon als Welpe liebte der Dude die Papphülsen in den Klopapierrollen. Toilettenpapier leer – Papprolle für den Hund zum Spielen und Zerpflücken – Hund glücklich. Irgendwann war ich es jedoch leid, nach seinen Zupf- und Rupf-Orgien auf Knien durchs Haus zu rutschen und die angesabbelten Pappestückchen mühsam aufzusammeln. Da der Dude ganz leidlich apportiert, kam mir die Idee, ihn die Pappschnipselchen selbst aufsammeln und abgeben zu lassen. Das klappte auch ganz fix im Tausch gegen Kekse. Und ich war stolz auf meinen Hund, der sein eigenes Chaos selbst wieder beseitigt!
Bis er auf die Idee kam, bei Hunger (oder einfach Appetit auf Kekse) Pappschnipsel zu bringen. Wenn gerade keine herumlagen, stellte er eben kurzerhand aus dem Altpapier welche her. Oder behalf sich mit trockenen Blättern, winzig kleinen Holzstückchen und alten Ahornsamen aus dem Garten. Zu Anfang musste ich jedes Mal lachen – was ihn in seinem Eifer nur bestärkte. Wenn aber schon vor dem Frühstück der Tisch voll mit Pappschnipseln und Gartenkompost liegt, hat der Spaß irgendwann ein Ende. Also gab es nur noch Kekse für Klorollenpappschnipsel und zudem Altpapierplünderungsverbot. Er hat sich damit arrangiert…
Mit Spaß bei der Arbeit – aber ohne Clownsnase.
Der Dude schreddert nach wie vor Klopapierrollen und benutzt die Schnipsel als Währung. Und ich muss zugeben, dass ich mich an dem Spaß freue, den mein Hund bei solchen eigenständig umstrukturierten oder selbst ausgedachten Aufgaben hat. Denn eine der mit Abstand besten Eigenschaften des Dude ist seine Fröhlichkeit, mit der er durchs Leben hüpft. Wer ihn so erlebt, kann tatsächlich auch den „lustigen Clown“ im Cattle Dog sehen. Fröhlich und lustig ist der Dude allerdings nur privat. Nicht mit Fremden und nicht, wenn es um seine Arbeit geht. Ist der kleine Rote mit einem Suchauftrag unterwegs, nimmt er den sehr ernst und wenn er einen Plan im Kopf hat, zieht er den unbeirrt durch.
Für die Nasenarbeit habe ich mich ganz bewusst entschieden: ich persönlich finde das Thema super spannend, der Dude hat sich von klein auf selbst dafür interessiert und die Förderung seines Talents sehr gut angenommen. Eine gewisse Eigenständigkeit (gerne als „Dickköpfigkeit“ ausgelegt) ist bei dieser Art von Arbeit durchaus wünschenswert – und das kommt uns hier definitiv zupass. Außerdem möchte ich bei (m)einem Hund, der sowohl physisch als auch mental über seine Grenzen geht, keine übermäßige Action fördern. Wenn ich aber sehe, mit welchem Elan und Fokus er an seine Suchaufgaben herangeht, geht mir das Herz auf.
Das Vertrauenskonto braucht ein Polster.
Die Vielseitigkeit des ACD finde ich insgesamt bemerkenswert, denn er kann deutlich mehr, als „nur“ Rinder treiben (und diesem ursprünglichen Beruf geht er hierzulande sowieso nur selten nach). Es gibt kaum eine Aufgabe, für die mein Hund nicht zu begeistern ist – vorausgesetzt, er sieht Sinn darin und es macht ihm Spaß. Womit es ziemlich sicher Ärger geben würde, ist Zwang. Ich kann den Dude überzeugen, etwas zu tun. Wenn die Argumente stimmen, lässt er sich auch überreden. Was er einmal gelernt hat, ist abrufbar. Wollte ich ihn jedoch zu etwas zwingen, würde mir mein Hund die Vertrauensfrage stellen.
Der Dude würde sich nicht gegen mich wenden (was durchaus in seiner Natur liegen könnte), doch unser Verhältnis wäre deutlich und schlimmstenfalls nachhaltig getrübt. Weniger angenehme Dinge, die einfach sein müssen – zum Beispiel Krallenpflege – kann ich ihm glaubhaft als notwendig vermitteln. Und für richtig unangenehme Sachen (schmerzhafte Wundversorgung z.B.) war das Vertrauen bisher immer tief genug. Ich war aber schon Zeuge, wie ein Cattle alles und jeden um sich herum attackierte. Weil er sich durch eine (zu) kurze Leine eingeschränkt sah.
Harte Schale, weicher Kern.
Nach einem kleinen Eingriff an der Wirbelsäule sollte der kleine Rote ein paar Tage Ruhe geben. Einen Moment hatte ich nicht aufgepasst, da sprang er auf das Sofa (statt die bereitgestellte Stufe zu benutzen), um sich zum Kuscheln zu mir zu legen. Im Moment des Hochspringens durchzuckte ihn ein plötzlicher Schmerz, der ihn aufschreien ließ. Diesen Schmerz brachte er – warum auch immer – mit mir in Verbindung. Was zur Folge hatte, dass er für zwei Tage jegliche Kommunikation mit mir einstellte: kein offener Blick zu mir, kein Zurückschauen auf dem Spaziergang, keine Kontaktaufnahme zu Hause, nichts. Es war schrecklich für uns beide.
Das Drama legte sich glücklicherweise nach ein paar Tagen komplett und hat keine Spuren hinterlassen. Aber es zeigt, dass unter der rauen Schale ein weicher Kern steckt, der einen – in seinen Augen – persönlichen Affront nicht einfach wegsteckt. Die Rechnung kommt sofort und ist den jeweiligen Umständen entsprechend angemessen. Auch das liebe ich an diesem Hund: ich weiß immer, woran ich bei ihm bin. Das bedeutet nicht, dass wir keine Meinungsverschiedenheiten haben oder ich immer wüsste, was in seinem Kopf vor sich geht. Aber wir sind jederzeit offen und ehrlich zueinander.
Absicht vor Rücksicht: der Cattle Dog bei der Arbeit.
Andererseits sind ACD im „Wegstecken“ perfektioniert – wenn es sich um körperliche Einwirkung handelt (man erinnere sich an die Sache mit der Kuh und dem Tritt). Daraus ergibt sich, dass „körperliche Einwirkung“ in der Erziehung reichlich nutzlos ist. Damit trifft man ihn nicht, das steckt er weg. Aber es kommt auf die Liste, denn in seiner Seele hat man ihn damit ganz sicher getroffen. Im Übrigen kann das auch bei versehentlicher „Misshandlung“ (auf die Pfote getreten) oder Einflüssen von außen (Kontakt mit Stromzaun) geschehen: mein Hund nimmt das persönlich.
Der Dude geht, wenn er einen Plan oder Auftrag hat, über Leichen. Notfalls seine eigene. Das bedeutet: WENN er denn mal Unbehagen oder gar Schmerzen anzeigt, muss er schon reichlich kaputt sein. Das kann zu einem echten Thema werden, wenn man einen derart arbeitswütigen (und das sind die allermeisten ACD von Natur aus) Vierbeiner hat. Ich merke, dass es meinem Hund offenbar nicht gut geht, wenn er in seinen Spezialgebieten/Lieblingsaufgaben nur mäßige Leistung abliefert. Wirklich sehen kann ich das an seinem Gesichtsausdruck und seinem Verhalten – dazu muss man ihn allerdings sehr gut kennen.
Alles bestens – oder?
In diesem Zusammenhang ein paar kritische Worte zum Status des Australian Cattle Dog als „robuste, gesunde Rasse“. Nach drei kranken Schäferhunden hatte ich mich unter anderem wegen des gesundheitlichen Aspekts für den ACD entschieden. Mein Hund stammt aus einem Züchterhaushalt, der alle zur Zuchtzulassung vorgeschriebenen Untersuchungen (und auch noch etliche darüber hinaus) hat vornehmen lassen. Das schützt leider trotzdem nicht vor unliebsamen Überraschungen, auch nicht in einer verantwortungsvollen Zucht. Zudem gibt es innerhalb der Rasse einige Erkrankungen, die häufiger auftreten und das Leben des Hundes (und damit auch des Halters) erheblich beeinträchtigen können.
Das Problem ist hier nicht nur die körperliche Einschränkung, die daraus entstehen kann – und das zum Teil schon in jungen Jahren – man muss dabei auch die psychische Entwicklung im Auge haben. Ein Hund, der auf Action, Bewegung und Arbeit ausgelegt ist, leidet unter Schmerzen in Gelenken und Wirbelsäule genauso, wie das Modell „Couchpotato“. Nur zeigt er sie kaum an oder nicht als solche erkennbar. Ich möchte nicht wissen, bei wie vielen der verhaltensauffälligen Cattle Dogs eigentlich gar kein Verhaltensproblem vorliegt, sondern unentdeckte Schmerzen als Ursache hierfür verantwortlich sind.
Von Wunschhunden und Seelenverwandten.
Alle meine Hunde habe ich wirklich geliebt, mit all ihren Eigenarten und Macken. Der Dude ist mein bisher anspruchsvollster Hund – und das, obwohl die Schäferhunde mit ihren jeweiligen Vorgeschichten und/oder Erkrankungen „nicht ohne“ waren. Aber mit ihm verbindet mich ein Verständnis, das sich schwer in Worte fassen lässt. Dass wir so eng zusammengehören, liegt nicht nur daran, dass man den ACD auch als „Velcro Dog“ bezeichnet und ihn ob seiner Loyalität rühmt (die Nachteile daran sind übrigens inbegriffen).
Vielleicht sind wir uns in manchen Punkten ein bisschen ähnlich: auch meine Impulskontrolle lässt leider oft zu wünschen übrig und ich kann ihn und seine Reaktion in manchen Dingen tatsächlich gut verstehen. Wir sind beide nicht vom Typ „Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt.“ – auch wenn ich das nicht so offen auslebe, wie er. Wir brauchen beide eine gewisse Zeit, um Vertrauen zu fassen und sind tief getroffen, wenn dieses Vertrauen enttäuscht wird. Aber er kann Menschen (und Hunde) bedeutend schneller und vor allem besser lesen, als ich – wenn auch aus seiner eigenen Sicht.
Nochmal, das Ganze?
Sollte ich die Frage nach einem weiteren Hund spontan und aus dem Bauch heraus beantworten, würde ich sagen: wieder ein ACD. Denn die Liste der Eigenschaften, die ich am Dude liebe, ist lang: sein Enthusiasmus und die Intensität bei allem, was er tut, seine Fröhlichkeit und das schelmische Grinsen dabei, der Arbeitswille und die Kooperationsbereitschaft, seine ganz eigenen Ideen, die er trotzdem hat, seine kompromisslos direkte Art, mit der er sowohl Kontra gibt als auch Zuneigung bekundet – und noch vieles mehr.
Rasseportraits sind eigentlich nicht so meins, denn die fallen selten umfänglich und ehrlich genug aus, um ein realistisches Bild zu zeichnen. Aber es gibt so viele Geschichten rund um den Dude: lustige, traurige, brenzlige, brüllkomische, seltsame und wunderbare – ich könnte ein Buch damit füllen. Und in solchen Geschichten lässt sich ein Charakter deutlich vielschichtiger abbilden, als es eine Liste mit Eigenschaften jemals könnte.
Das Motto des Dude: Das Leben ist bunt und granatenstark!
Die Möglichkeit besteht, dass der nächste Australian Cattle Dog so ganz anders ausfallen kann, als der Dude. Das wäre im einen oder anderen Punkt nicht unbedingt ein Nachteil, denn das Leben mit ihm kann bisweilen anstrengend sein. Es beinhaltet reichlich vorausschauendes Handeln, durchaus umsichtiges Management und ein paar Dinge würde ich heute anders angehen – auch wenn meine Erfahrungen mit den gebrauchten Gebrauchshunden hier durchaus nützlich waren.
Da die Anschaffung eines weiteren Hundes jedoch aktuell nicht ansteht, kann ich mich ganz entspannt zurücklehnen. Und meinem kleinen roten Knallkopp – Nachfahre der berühmt-berüchtigten Rindertreibhunde in Australien – dabei zusehen, wie er selig schlummernd träumt. Wahrscheinlich davon, dem doofen Rüden von neulich mal so richtig die Leviten zu lesen, Nachbars Katzen lautstark aus unserem Garten zu jagen und anschließend einen WIRKLICH vollen Napf PLUS Nachtisch leer zu fressen.