Linke Seite: plüschig-niedlicher Terriermix läuft lächelnd Richtung Kamera, rechte Seite: derselbe Terriermix lacht total schlammverschmiert in die Kamera

Erwartungen an Hunde und ihre Menschen

Ein Interview, das ich kürzlich gesehen habe, hat mich sehr nachdenklich gemacht. In diesem Gespräch mit einer jungen Frau ging es um Erwartungen, die das persönliche und öffentliche Umfeld an sie und ihren Hund stellt. Thema war, dass der Hund diese Erwartungen stellenweise nicht erfüllen kann oder ihnen nicht gewachsen scheint. Diese Tatsache hatte zu einer bisweilen belastenden Situation für die Besitzerin geführt. Nun könnte man einfach sagen: Überall dort, wo unterschiedliche Ansichten und Erwartungen aufeinandertreffen, entstehen Konflikte – so ist das Leben nun mal, nicht nur für uns Hundemenschen. Jeder Hundehalter, der schon einmal in irgendeinen noch so kleinen Konflikt wegen seines Hundes bzw. dessen Verhalten geraten ist, musste sich bereits mit solchen Erwartungen auseinandersetzen.

Doch dazu ein paar deutliche Worte: Die Ansprüche der Gesellschaft an Hunde und ihre Halter sind mittlerweile enorm hoch und lassen in vielen Teilen den gesunden Bezug zur Realität vermissen. Es wird erwartet, dass Fido jeden Besucher erfreut zur Tür hereinlässt – den Einbrecher jedoch todesmutig in Schach hält. Bellen darf Lassie nur, wenn Timmy in den Brunnen gefallen ist – aber nicht nach 20 Uhr oder am Feiertag! Angefasst und gestreichelt zu werden, muss jeder Hund mögen – auch wenn er ein traumatisierter Angsthund aus dem Tierschutz ist. Entspricht ein Hund im Verhalten nicht seiner Rassebeschreibung (oder der häufig geschönten Version davon…), wird er als „verhaltensgestört“ abgestempelt. Ebenso, wenn er nicht alle Artgenossen total toll findet und mit jedem dahergelaufenen Hund sofort fröhlich spielen will. Diese Liste lässt sich nahezu endlos fortsetzen.

Ein Hund ist ein Hund ist ein Hund.

Dass ganz normales Hundeverhalten durchaus Aspekte beinhaltet, die nicht in eine Welt passen, in der Hunde nur als gut gelaunte und allzeit freundliche Freizeitpartner gesehen werden, scheint offenbar in Vergessenheit geraten zu sein. Gleichzeitig sind Hunde in unserem Leben heute wesentlich präsenter, als sie es noch vor 30 Jahren waren: Es gibt eine sehr viel höhere Anzahl an Hunden und sie werden längst nicht mehr nur als „Mittel zum Zweck“ (Wachhund, Jagdhund, Hütehund etc.) gehalten. Sie sind Sozialpartner geworden und werden häufig als vollwertiges Mitglied der Familie betrachtet. Und doch sind sie Hunde geblieben – ganz gleich, in welchem Fell, in welcher Größe oder Farbe sie daherkommen. Sie haben ihre für Hunde normalen Verhaltensweisen nicht abgelegt, auch wenn es uns das eine oder andere Mal nicht so ganz in den Kram passt.

Der Dackel geht jagen, der Schäferhund wacht über Haus und Garten, der Yorkshire Terrier tötet Ratten – auch wenn er als Familienhund gehalten wird. Beziehungsweise würde der jeweilige Hund seinen Job machen, wenn wir als Halter nicht regulierend und durch erzieherische Maßnahmen eingreifen würden. Manchmal gelingt das locker mit ein bisschen Training, andere brauchen schon deutlich mehr Anleitung für das von uns gewünschte Verhalten und in etlichen Fällen bringt der Hund so viel mit, dass es trotzdem noch einiges an Handling und vorausschauendem Verhalten seitens der Halter bedarf. Ich lasse die Fälle, in denen der Mensch keine Notwendigkeit dazu sieht, seinen Hund „alltagstauglich“ zu machen, dabei ganz bewusst außen vor. Über die ärgern wir bemühten Hundehalter uns sowieso schon genug.

Anno dunnemals…

Das eingangs erwähnte Interview hat mich aber auch deshalb nachdenklich gemacht, weil es mich so sehr an die Anfangszeit mit meinem ersten Hund erinnerte. Mein erstes Schäferhündchen kam mit einem mächtigen Paket an gesundheitlichen Problemen und dazu noch Verhaltensweisen, mit denen ich ein Problem hatte: weil in meinem Kopf bestimmte Vorstellungen davon herrschten, wie (m)ein Hund sein sollte und weil ich wusste (oder glaubte zu wissen), welche Erwartungen die Umwelt an mich und meinen Hund stellt. Das hat die ersten Jahre mit diesem Hund alles andere als unbeschwert gemacht und ich weiß noch gut, wie verzweifelt ich manchmal war. Zum Glück fanden wir nach langer Suche einen großartigen Hundeplatz und dort Trainer, die meinen Blick auf das Wesentliche lenkten. Hier lernte ich, das Positive an meinem Hund zu sehen und das machte das Training und auch das Handling in den (mir bis dahin sehr peinlichen) Notsituationen endlich so viel leichter!

Irgendwann kam im Laufe der Zeit wohl auch eine gewisse Abgeklärtheit hinzu. Im Zusammenleben mit Hunden erlebt man immer wieder kritische Situationen und lernt zwangsläufig, damit umzugehen. Das heißt nicht, dass man nicht immer noch überrascht werden könnte – aber das Drama verliert sich im Laufe der Jahre etwas. Da war der Labrador, der fröhlich angeflitzt kam, sich nicht die Bohne um das Getöse des Schäferhündchens scherte und auch von ihr auf den Rücken gedreht noch immer keine Einsicht zeigte: die beiden wurden beste Kumpels bis ins hohe Alter. Wohl auch deshalb, weil der Besitzer des Labradors von ähnlichem Gemüt wie sein Hund war und die Situation genauso unbekümmert angenommen hatte. Mir war damals gar nicht wohl, denn ich hatte wirklich Sorge, der Labbi könnte Schaden nehmen – heute denke ich mit einem Schmunzeln an seine hartnäckigen Freundschaftsangebote zurück.

…und heute – oder auch: shit happens.

Doch diese Situation könnte in der heutigen Zeit auch mit einer Anzeige und in der Folge Besuch vom Ordnungsamt enden. Wenn „Der-will-nur-mal-Hallo-sagen“ plötzlich auf dem Rücken liegt und in 42 blitzend weiße Argumente schaut, sieht das einfach nicht hübsch aus. Umgekehrt wäre ich selbst auch recht wenig erfreut, wenn sich ein pubertierender Jungspund freudestrahlend auf meinen Hund stürzen würde, um Freundschaft fürs Leben zu schließen.
Und hier stelle ich nun fest, dass auch meine Ansprüche an andere Hunde beziehungsweise ihre Halter offenbar gestiegen sind. Liegt es an der größeren Zahl der Hundebegegnungen und der Tatsache, dass damit einfach auch die unerfreulichen zwangsläufig häufiger stattfinden? Werde ich alt und verbiestert, kann das Ganze nicht mehr locker sehen? Bin ich noch immer „uncool“ und fürchte mich vor den Erwartungen anderer? Darf man nicht zumindest die Basics der Hundehaltung von anderen erwarten?

Natürlich passiert (jedem von uns) mal ein Missgeschick – ein Moment der Unachtsamkeit, die Situation falsch eingeschätzt, einen schlechten Tag erwischt etc., davor ist niemand gefeit. Aber für mich macht es einen Unterschied, ob sich jemand für ein solches Missgeschick entschuldigt und zusieht, dass es nicht wieder vorkommt oder ob jemand so gar kein Einsehen hat, dass da gerade etwas schiefgelaufen ist. Und womöglich noch blöde Sprüche dazu klopft oder mir die Schuld in die Schuhe schiebt („Wenn der nicht verträglich ist, braucht er aber einen Maulkorb!“). Womit wir wieder bei der Erwartungshaltung wären: Ich erwarte tatsächlich, dass mein Hund nicht ungefragt von anderen überrannt und vor Kontaktaufnahme meine Zustimmung eingeholt wird. Umgekehrt finde ich es selbstverständlich, gemeinsam mit dem Hund auszuweichen, wenn ich sehe: da kommt uns jemand entgegen, der Probleme mit einer Begegnung hätte.

Glück ist kein Geschenk der Götter.

Weil Menschen nun mal so sind, wie sie sind und Hunde heutzutage eben nicht mehr „alles unter sich“ regeln müssen (und dürfen), bleibt nur: das Beste hoffen und an das Beste glauben. Ungefähr so, wie die ältere Dame, die vor vielen Jahren mal eben ihren Enkel über das Hoftor hielt, damit das Kind die beiden Schäferhunde streicheln konnte. Diese waren glücklicherweise von der Idee recht angetan beziehungsweise hofften wohl auf Leckerchen oder Ballwerfen (und fraßen auch sonst keine kleinen Kinder). Die Dame zeigte sich von meinem Entsetzen über ihre Handlung recht unbeeindruckt, denn sie habe ja gleich gesehen, dass die Hunde lieb seien, die hätten ja nicht mal gebellt. Manchmal muss man halt einfach auch Glück haben…

Für den Hund der jungen Frau aus dem Interview ist es Glück, dass sie sich dazu entschlossen hat, eigene und die Erwartungen anderer auf das Machbare herunterzuschrauben. Und ich ziehe meinen imaginären Hut vor ihr, denn dazu gehört eine gute Portion Mut und vorab die Erkenntnis, dass da etwas schief läuft – und in diesem Fall nicht in erster Linie beim Hund sondern für den Mensch. Eine innige Beziehung zwischen Hund und Mensch kann nur wachsen, wenn man bedingungslos zueinander steht und sich gegenseitig vertraut. Dazu gehört natürlich die Verantwortung des Menschen für den Hund, aber eben auch der Blick auf die positiven Seiten des vierbeinigen Partners. Ich wünsche diesem Team von Herzen, dass es seinen Weg findet, ganz egal, welche Erwartungshaltungen im Raum (oder im Wald) stehen.