Kopfportrait eines roten Australian Cattle Dog im Abendlicht, wie er gebannt auf seine ausserhalb der Kamera stehende Bezugsperson blickt.

Der nützliche Hund

Als vor fast 30 Jahren mein erster Hund bei mir einzog, hatte ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht, ob und wie ich diesen Hund beschäftigen würde. Ich wollte einen Hund. Mit dem geht man spazieren, wirft ab und an einen Ball, hat gemeinsam Spaß – fertig. Zumindest war das damals außerhalb von Hundeplätzen so üblich. Dort war jedoch zu dieser Zeit das Thema „Beschäftigung“ auf Aktionen begrenzt, die bei mir nicht unter „Spaß haben“ laufen. Also gingen wir spazieren, ich warf ab und zu einen Ball und wir hatten Spaß. Mit Hund Nr. 2 lief das ganz ähnlich und war gut so. Bis dann Hund Nr. 3 in mein Leben trat.

Als die beiden Oldies nicht mehr waren, zog sie bei mir ein: Frau Schäferhund war etwas älter als 2 Jahre und hatte eine (in welcher Form auch immer) offensichtlich vermurkste Ausbildung im Schutzdienst hinter sich. Dass wir beide keine Lust auf diesen Sport hatten, traf sich gut – aber sie war mein erster Hund, der trotz unserer ausgedehnten Gassi- und Fahrradrunden ganz offenbar unterfordert war. Da sie sehr schnell hochfahren konnte, begann ich damals die Sucharbeit mit einer einfachen Pansenschleppe: einer Spur folgen, um sich eine Mahlzeit zu erarbeiten. Das kann einen wenig verfressenen Hund kaum aufregen, lastet Körper und Geist aus und am Ende der Schleppe nach dem Fressen ist der Hund zufrieden. So war jedenfalls die Idee.

Du darfst jetzt tun, was du kannst.

Die Praxis gestaltete sich allerdings schon bei der ersten Pansenschleppe anders: Das Schäferhündchen folgte der Spur zielgerichtet und in halbwegs ruhigem Tempo – aber der Pansen am Ende der Schleppe ließ sie völlig kalt. Sie überlief ihn einfach und folgte interessiert meiner Spur zurück bis zum Auto. Da stand ich nun mit meiner grandiosen Idee und guckte ziemlich verblüfft aus der Wäsche. Glücklicherweise war eine Freundin mit ihrem Hund in einer Rettungshundestaffel als Mantrailer aktiv, erkannte das Potential und begleitete unsere ersten Schritte in der Ausbildung. Frau Schäferhund hatte ihre Bestimmung gefunden und war durch ihre Aufgabe als „Hobby-Mantrailer“ zu einem neuen Hund geworden.

An ihr konnte ich das erste Mal beobachten, was Selbstwirksamkeit mit einem Hund macht. Das ewige „Was darf ich für dich tun?“ und „Mache ich’s auch richtig so?“, gepaart mit Unsicherheit und regelrechter Hysterie, wenn sie eine neue Aufgabe nicht auf Anhieb verstand, ließ sie beim Trailen komplett hinter sich. Sie verstand hier intuitiv, worum es ging, konnte die Aufgabe selbstständig lösen (dass wir Menschen quasi nasenbehindert sind, haben Hunde ganz fix raus…) und war nach getaner Arbeit so offensichtlich glücklich und zufrieden mit sich, dass mir mehr als einmal beinahe die Tränen kamen: so gelöst und frei wie nach dem Trailen war sie in den ersten Jahren selten.

Wenn Talent und Wunsch zusammenpassen.

Australian Cattle Dog Welpe verschwindet mit dem Vorderkörper hinter einer Holzkiste, um etwas zu erkunden, nur noch das Hinterteil ist zu sehen.

Da gut gemachtes Mantrailing-Training logistisch leider richtig aufwändig ist – selbst wenn man es nur zur Bespaßung des Hundes betreibt – fingen wir nebenbei mit der Geruchsspurensuche an. Auch hier war das große Glück, den Einstieg mit einer Trainerin zu finden, die das Thema (damals noch wenig verbreitet) mit viel Spaß und Know-how vermittelte. Ich war mittlerweile vollkommen fasziniert von der Nasenarbeit und hoffte ganz inständig, dass der nächste Hund sich dafür ebenfalls begeistern würde. Und dann kam er: Der Dude, erster Nicht-Schäferhund und Welpe in meinem Leben, ließ sich nicht nur begeistern – er ist die Begeisterung in Person, wenn es um Nasenarbeit geht!

Ich habe ihn als Welpe ganz bewusst nicht in einer bestimmten Richtung gefördert, weil ich gern sehen wollte, welche Talente er von sich aus mitbringen würde. Es begann damit, dass er sich ein Loch in seinen kleinen Welpen-Nackebauch freute, wenn er unterwegs ein verlorenes Kleidungsstück fand. Man glaubt gar nicht, wie viele herrenlose Handschuhe, einzelne Flip-Flops oder Socken im Straßengraben und in Gebüschrändern zu finden sind… Sein erstes Nasenarbeits-Seminar zum Thema Geruchsunterscheidung absolvierte er begeistert mit ungefähr einem Jahr. Danach übten wir zwar noch sporadisch, aber nicht wirklich mit Plan. Das zweite Seminar im selben Jahr fand er beinahe noch großartiger: Verlorensuche.

Der Spaß bringt plötzlich Nutzen.

Hier knüpfte ich direkt an und er lernte, eigene und fremde verlorene Gegenstände zu finden und anzuzeigen. Das führte dazu, dass er sich wieder auf seine Anfänge im Welpenalter besann und mir ein verlorenes Handy, eine Armbanduhr und eine Stirnlampe aus Gebüsch, Straßengraben und Wiese fischte. Er war dabei jeweils komplett ohne „Auftrag“ unterwegs, diese Fundstücke sammelte er alle so nebenbei beim Gassi auf. Ich war beeindruckt, er war über alle Maßen entzückt und fing an, mir alles, was er unterwegs so fand, vor die Füße zu werfen. Nur kann ich mit den abgefallenen Gummi-Nupsies von Nordic Walking-Stöcken leider nichts anfangen und fremder Leute Unterwäsche will ich definitiv nicht haben.

Also musste ein Plan her. Dank Rückbesinnung auf das Mantrailing-Training mit Frau Schäferhund lernte der Dude, mittels Geruchsvorlage gezielt nach verlorenen Gegenständen fremder Menschen zu suchen. Das brachte immerhin eine Sonnenbrille zu ihrem Besitzer zurück. Und den in voller Fahrt verlorenen Windabweiser meines Autos fand er – obwohl ich das mit ihm zu dieser Zeit noch gar nicht trainiert hatte – allein durch den zweiten Windabweiser als Geruchsvorlage mitten in den hohen Brennnesseln am Straßenrand. Auf die Idee, das für ein abwechslungsreicheres Training zu nutzen, kam ich aber erst später.

Arbeitslos, wenn niemand schlampert.

Leider (für uns) gehen nicht gar so häufig Gegenstände verloren, die man ganz unbedingt wiederfinden will (zum Glück für alle anderen). Und Trainingssituationen durchschaut der gewitzte Kerl sofort, was im weiteren Verlauf dazu führte, dass er beim Training sehr intensiv und mächtig beschäftigt in der Landschaft herumsuchte – den Gegenstand absichtlich ignorierend. Er verschaffte sich einen Kick mit der Sucherei, denn der Spaß war in seinen Augen immer viel zu früh zu Ende. Daran änderten auch alle Tricks nichts: lange Spaziergänge nach dem Suchen, Superbelohnungen, von denen andere Hunde nur träumen, viele Suchen nacheinander – für ihn war das keine adäquate Entschädigung.

Um der Sucherei einen neuen Aspekt zu verleihen, konditionierte ich ihn auf einen Zielgeruch (Schwarztee). Fortan suchte er die Teebeutel in jeder Art von Umgebung und Versteck, bis ihm auch diese Aufgabe irgendwann fad wurde. Die vorläufige „Lösung“ des Problems bestand darin, ihm immer wieder Trainingspausen von ein bis zwei Wochen aufzubrummen – danach suchte er wieder mit mehr Elan und fand auch gewohnt schnell. Aber in den auferlegten Zwangspausen war er nun quasi auf Entzug. Das fand ich persönlich unbefriedigend und auch irgendwie unfair. Schließlich hatte ich ihn ja „angefixt“ und eigentlich waren wir beide bei der Sucharbeit sehr glücklich.

Aus Langeweile entsteht Kreativität.

Roter Australian Cattle Dog sitz vor einem Baum und schaut zu einem Wanderwegweiser hinauf, der dort angebracht ist.Kurzfristig löste der Dude das Problem ganz kreativ selbst und fand auf unseren Spaziergängen eine neue Aufgabe zum Zeitvertreib: Wanderwegschilder. Diese Metallschilder in spezifischer Form werden hier mittels Kitt an den Bäumen festgeklebt. Manchmal fallen sie im Laufe der Zeit ab, manchmal werden sie heruntergerissen und ins Gebüsch geworfen. Ein solches weggeworfenes Schild brachte meinen Hund dazu, sich Hals über Kopf ins Dickicht zu stürzen und stolz mit dem Schild zwischen den Zähnen angeflitzt zu kommen: Er hatte einen Schatz gefunden! Ich hingegen hatte ihn derweil auf Eichhörnchenjagd vermutet…

Mittlerweile weiß ich, dass der Dude auf den Geruch des Kitts abfährt und er deshalb Schilder unter Laub, im Brombeergestrüpp und abseits des Weges findet. Sind auf einem Spaziergang keine herabgefallenen Schilder zu finden, zeigt er brav all jene Wegweiser an, die noch am Baum hängen, Reste des Kitts in der Rinde oder übriggebliebene Kittreste am Boden. Als Hobby nebenbei und zur Überbrückung von Trainingspausen ist das nett, unterhaltsam und nützlich: der Albverein freut sich über zurückgebrachte Wegweiser. Aber eine wirklich erfüllende Aufgabe wurde daraus ebenfalls nicht.

Wenn aus „nützlich“ lästig und gefährlich wird.

Zwischendurch hatten wir bei mehreren Aufräum-Aktionen im Wald (nach dem 1. Mai oder Vatertag) noch Müllsammeln auf dem Plan. Da der Dude fremde Gegenstände aller Art spannend findet und auch nahezu jedes Material apportiert, kann man ihn gezielt losschicken und sich die weggeworfenen Plastikbecher, Dosen und Plastikflaschen zurück auf den Weg bringen lassen. Leider führte das recht schnell dazu, dass er auch auf normalen Spaziergängen Kippenschachteln, Kabelbinder und Bonbonpapierchen apportierte, die er zufällig fand. Er war zum vierbeinigen Waldaufräumkommando geworden.

Weil ich aber nicht bei jedem Gassi Müllbeutel und Rucksack mitnehmen möchte und der Kasperkopp schließlich auch anfing, (kaputte) Glasflaschen und scharfkantige Konservendosendeckel zu apportieren, hörte ich schließlich auf, ihn für seine Sammelleidenschaft zu belohnen. In letzter Zeit liegen selbst bei uns im Nirgendwo immer häufiger Atemschutzmasken in der Landschaft – die will ich natürlich erst recht nicht gebracht bekommen. Ab und an darf er sich noch ein Taschengeld verdienen und Plastikpfandflaschen oder Dosen bei mir abliefern, die ich ihm anzeige. Das läuft so nebenbei und bedarf keiner weiteren Übung.

Ist das echt oder kann das weg?

Der Dude unterscheidet deutlich, ob er sich in einer (ihm womöglich auch noch bekannten) Trainingssituation befindet oder ob er z.B. einen tatsächlich verlorenen Gegenstand suchen soll. Den Elan, mit dem er sucht, die Ausdauer, die er dabei an den Tag legt, wenn er wirklich einen Sucheinsatz hat – all das sieht im Training nicht ganz so enthusiastisch aus. Über zwei Stunden nach einem verlorenen Schlüssel im Wald suchen? Da muss man ihm die kleinen Verschnaufpausen zwischendurch regelrecht aufzwingen und ihm auch irgendwann sagen, dass nun Schluss ist (zumal der Schlüssel gar nicht im Wald lag, wie sich später herausstellte).

Im Training hingegen kann es durchaus vorkommen, dass er unterwegs mal hier und da rüsselt, ein paar Hasenköttel nascht oder irgendwo markiert. Das käme ihm bei einem echten Sucheinsatz nicht in den Sinn. Die einzige Möglichkeit, ihn mit Begeisterung bei der Stange zu halten ist, das Training so abwechslungsreich und anspruchsvoll wie möglich zu gestalten. Worauf er als echter Gummi- und Plastikfetischist total steht: Kongstückchen suchen. Die sind insofern abwechslungsreich, als dass man sie sehr klein schneiden, prima verstecken und normalerweise lange in einem Versteck oder einer Wiese liegenlassen kann, ohne dass sie verschwinden.

In der Abwechslung liegt die Würze.

Roter Australian Cattle Dog schnüffelt an einem Brennholzstapel, der in einer Wiese aufgetürmt ist.

Doch selbst hier ist ein gewisser Abnutzungseffekt in Sachen Attraktivität zu beobachten und auch ein kreativerer Geist als meiner wiederholt irgendwann unbewusst die Versteckideen. Also zurück zu einer alten Sache mit neuem Plan: Die Suche mit Geruchsvorlage – aber mit immer wieder neuen und bis dahin unbekannten Gerüchen. Zum Einsatz kommt hier nahezu alles, was für den Hund (bei der Anzeige) und die Natur (beim Ausbringen) ungefährlich bzw. unschädlich ist: Küchengewürze aller Art, Kleinstmengen verschiedener Kosmetikartikel (z.B. Handcreme, Zahnpasta), Pflanzenteile (z.B. Tomatenstängel, Buchweizensamen) und Lebensmittel wie Gummibärchen, Kürbiskerne oder ähnliches.

Bevor der Dude in die Suche geschickt wird, bekommt er also eine Probe des zu suchenden Geruchs unter die Nase gehalten und wird dann freigegeben. Bei fressbaren Dingen tut er sich noch schwer mit der Beherrschung bei der Anzeige (die Gummibärchen-Suche gleich zu Anfang war nicht meine beste Idee…), aber im Großen und Ganzen bringt diese Form der Sucharbeit genug Abwechslung ins Spiel, um den Dude bei Laune zu halten und seine Aufgaben abwechslungsreich zu gestalten. Dabei sammelt er jede Menge Erfahrung in der Suche, feilt seine Technik aus und findet neue Lösungen. Das macht es mir das Ausdenken neuer Anforderungen nicht leichter – aber wir haben beide großen Spaß daran.

Der Hund hat die Nase und damit auch Recht.

Für mich selbst ist diese Art von Beschäftigung extrem lehrreich. Ich kann meinen Hund ohne Erwartungsdruck beim Suchen beobachten, ihn lesen lernen und am Schluss gemeinsam mit ihm seinen Erfolg feiern. Dazu muss ich wissen, was genau für ihn auch tatsächlich eine Belohnung darstellt. Ich stelle fest, wieviel und welchen Einfluss bestimmte Wetterlagen oder Geländeformationen auf das Suchverhalten meines Hundes haben. Anhand praktischer Erfahrung weiß ich inzwischen, dass es nicht immer schlau ist, dem Hund zu sagen, wo genau er zu suchen hat. Denn ich vergesse nur allzu schnell, wo ich den Zielgeruch überall ausgebracht habe…

Anfangs war ich recht frustriert, wenn der Dude nicht so suchte, wie ich mir das vorgestellt hatte. Oder wenn er nicht fand, was in meinen Augen doch scheinbar leicht zu finden gewesen wäre. Letztlich stellt sich aber immer heraus, dass es einen Grund dafür gibt, wenn etwas nicht geklappt hat: der Fehler liegt im Regelfall bei mir oder meiner Aufgabenstellung. Und trotzdem lacht der Dude immer wieder über das ganze Gesicht, wenn ich ihm einen neuen Suchauftrag gebe. Dieses unglaublich enthusiastische Grinsen, das er auch nach der Arbeit zeigt, macht mich glücklich und zeigt mir deutlich, dass er es auch ist. Vor allem dann, wenn er es eben doch besser wusste.