Hund mit Fussball

Der kann eigentlich nicht – aber er will trotzdem. Und er wird!

Die Sache mit der Schmerzerkennung ist so eine Sache. Wenn der Hund stark lahmt und dabei laut jammert, sollte es auch der letzte Hundebesitzer mitbekommen haben: dieser Hund hat Schmerzen. Und zwar richtig doll. Wer dann zum Tierarzt fährt, hat die korrekten Schlüsse gezogen und den Handlungsbedarf erkannt. Was aufgrund der Offensichtlichkeit der Situation sicher keine außergewöhnlichen Fähigkeiten erfordert.

Viel schwieriger zu erkennen sind die subtileren Anzeichen für Schmerzen. Das gilt vor allem dann, wenn die Schmerzen chronisch sind. Erschwert wird das Ganze auch noch durch das von Hund zu Hund unterschiedliche Schmerzempfinden. Da gibt es die empfindsamen, die schon wegen einer Klette im Fell jegliche Bewegung vermeiden, weil es so schrecklich ziept. Und das andere Extrem derer, die sich beim Sprung ins Gebüsch einen großen Triangel in die Haut reißen und trotzdem noch den Dummy suchen und bringen.

Von Prioritäten, Opiaten und lebensnotwendigen Cocktails

In beiden Fällen ist zumindest der Grund für – vielleicht auch erst später gezeigte – Schmerzen jedoch erkennbar. Richtig blöd wird es aber, wenn der Hund scheinbar so gar keine Anzeichen für Schmerzen erkennen lässt. „Er rennt doch seinem Ball hinterher!“ oder „Im Schutzdienst geht der aber noch richtig ab!“ sind Aussagen, die uns ganz sicher NICHT nicht den selbstverständlichen Rückschluss auf Schmerzfreiheit beim jeweiligen Hund erlauben. Hunde sind wahre Meister darin, Schmerzen zu verbergen und damit augenscheinlich „wegzustecken“.

Die Zauberformel hier lautet: Prioritäten des Hundes und das damit verbundene Lustgefühl erkennen. Denn bei wirklich heiß geliebten oder lebensnotwendigen Aktivitäten setzt das Gehirn einen Cocktail aus Neurotransmittern frei. Diese ergeben zum einen den „Kick“, der die Hunde so richtig gut drauf sein lässt. Zum anderen ist darin ein körpereigenes Opiat enthalten, das als Schmerzmittel wirkt. So werden bereits vorhandene oder durch die Tätigkeit entstehende Schmerzen einfach ausgeschaltet. Allerdings nur für den Moment, nicht dauerhaft und schon gar nicht langfristig.

„Natürlich“ ist in der Zivilisation manchmal nicht nützlich.

In der Natur macht das tatsächlich Sinn: wer sich durch ein pieksiges Brombeergebüsch von der Verfolgung des Hasen abhalten lässt, geht hungrig ins Bett. Und wer trotz großen Hungers immer noch nicht ins Stachelgebüsch hüpft, ist irgendwann schlicht und ergreifend verhungert und damit tot. So gesehen schützt der Neurotransmitter-Cocktail vor frühzeitigem Ableben – aber eben nur in der freien Natur. Unseren Haushunden schadet dieses Prinzip im Alltag eher, als dass es nutzt. Vor allem dann, wenn der Mensch nicht erkennt, dass der Hund auf dieser Cocktail-Welle reitet und sich selbst Schaden zufügt.

Meine erste Schäferhündin hegte (aus verschiedenen Gründen) eine heftige Abneigung gegen Katzen und es war ihr überaus wichtig, diese aus ihrer näheren Umgebung fernzuhalten. Tauchte eine Katze im Hof auf, startete sie mit wüstem Gebell durch und verscheuchte den Stubentiger. Das tat sie auch noch, als sie wegen ihrer schweren Ellbogenarthrose keine Treppen mehr gehen konnte. Sie stürzte sich kurzerhand kopfüber die Stufen hinunter, überschlug sich dabei und stolperte dann noch der flüchtenden Katze hinterher.

Ihr war damit das Verscheuchen der Katzen sogar wichtiger, als ihre eigene körperliche Unversehrtheit. Um diese zu gewährleisten, brachte ich nach ihrem zweiten Anlauf ein Gitter an der Treppe an. Welches sie ernsthaft versuchte, zu überspringen, obwohl das damals längst außerhalb ihrer körperlichen Möglichkeiten lag.

Warum „schmerzbefreit“ nicht „frei von Schmerzen“ bedeutet.

Das Argument „Aber sie rennt doch den Katzen noch hinterher!“ hätte man einfach aufgrund ihrer offensichtlichen Bewegungseinschränkung ad absurdum führen können. Sie erhielt zwar Schmerzmittel und wurde mit zusätzlichen Maßnahmen unterstützt, völlig schmerzfrei war sie jedoch sicher nicht. Lediglich in Bezug auf ihre Prioritäten war sie im übertragenen Sinne „schmerzbefreit“ – was dem Ganzen einen völlig anderen Inhalt gibt.

Diese Art „schmerzbefreiter“ Hunde trifft man in gewissen Bereichen häufiger an: oft handelt es sich um Hunde aus Arbeitslinien, die auf ihre hohe Leistungsbereitschaft und den unbedingten Willen zur Erfüllung der ihr zugedachten Aufgaben selektiert wurden. Ganz gleich, ob wir hier von Jagdgebrauchshunden, Hüte- und Treibhunden oder anderen Mitgliedern der Gebrauchshunderassen sprechen – wir haben es mit extrem „arbeitsgeilen“ Hunden zu tun, die jederzeit über ihre körpereigenen Grenzen hinausgehen.

Schmerzbefreit – und stolz darauf.

Und genau diese Hunde werden im Training oder gar auf Prüfungen geführt und dann stolz überall (gern auch in diversen Social Media) herumgezeigt: „Mein Hund hat Spondylose/Cauda Equina-Syndrom/Hüftgelenksdysplasie/(der Leser möge eine beliebige schmerzhafte Erkrankung einfügen) und kann trotzdem noch Schutzdienst/Agility/Mantrailing (der Leser möge eine beliebige Sportart mit hohem Anspruch an Körpereinsatz einfügen) machen! Und der hat solchen Spaß dabei!!!“

Mag sein, dass der Hund an der Ausübung seines Sports tatsächlich Spaß hat – aber das bedeutet deshalb noch lange nicht, dass er schmerzfrei ist. Wer das nicht glauben mag, liest bitte noch einmal den letzten Satz aus dem Abschnitt zu den Neurotransmittern. Körpereigene Opiate (oder auch der Einsatz von Schmerzmitteln) können und dürfen keine Rechtfertigung sein, dem Hund trotz bekannter Erkrankung/Schmerzen Leistung abzuverlangen oder ihn dazu anzuspornen. Das halte ich persönlich für ethisch nicht vertretbar.

Runter mit der rosa Brille!

Keine Erkrankung wird davon besser und der Hund schon gar nicht gesünder, wenn er immer wieder bis an oder gar über seine Grenzen hinaus belastet wird. Zudem ergibt sich ein völlig falsches Bild für andere Hundebesitzer mit von Schmerzen betroffenen Hunden: es wird der Eindruck erweckt, dass zum Beispiel ein Cauda Equina-Syndrom kein Grund ist, den Hund nicht trotzdem im Sport zu führen. Das mag bei milder Ausprägung und entsprechender Behandlung der Krankheit in ganz wenigen Einzelfällen möglich sein – aber ist es nötig? Ein genereller Freibrief darf daraus keinesfalls entstehen.

Auch wird ein falscher Eindruck von Gesundheit der jeweils gezeigten Rasse vermittelt. Ich möchte nicht wissen, wie viele Hunde trotz erheblicher gesundheitlicher Einschränkungen in der Zucht landen, nur weil man es ihnen nicht auf Anhieb ansieht. Vorsatz will ich hierbei gar nicht unterstellen: es reicht völlig aus, das zu sehen, was man sehen WILL (die gute Leistung oder das tolle Wesen) und die weniger auffälligen Details deshalb (unbewusst oder aus Unwissenheit) zu übersehen.

Einfach Augen auf: man muss das Problem nicht mit der Lupe suchen.

Vor einiger Zeit traf ich eine Dame mit einer auffällig hübschen, kompakten Hündin einer Gebrauchshunderasse. Ich sprach sie an, weil mich interessierte, woher die Hündin stammte. Diese lag während des Gesprächs sehr entspannt in der wirklich trubeligen Umgebung und beeindruckte mich damit noch mehr.
Irgendwann fiel mir auf, dass die Krallen an den Hinterpfoten der Hündin extrem kurz waren und deutliche Schleifspuren aufwiesen. Darauf angesprochen antwortete die Dame, dass das vom Laufen auf Asphalt käme und normal wäre. Bei einem nicht ganz 3-jährigen Hund, der sportlich geführt wurde und mit dem auch ein Wurf angedacht war…

Das führt noch einmal zurück zu den subtileren Anzeichen für Schmerzen beim Hund. Das am wenigsten augenfällige Zeichen ist bereits das wichtigste: das Vermeiden des vollen Umfangs einer normalerweise physiologisch möglichen Bewegung. Der Hund hat in diesem Zustand tatsächlich keine Schmerzen, weil er die Bewegung so einschränkt, dass der Schmerz erst gar nicht entsteht. Erst im weiteren Verlauf treten dann Schmerzen auf: anfangs durch Schonhaltung und später durch das Fortschreiten der Erkrankung.

Körperliche Grenzen sind keine Interpretationssache.

Bei den Arbeitsrassen kommt noch hinzu, dass ein aufgrund von Schmerzen gestresster, hektischer und explosiver Hund gern als „besonders triebig“ angesehen wird. Statt zu erkennen, dass der Hund (zum Beispiel im Schutzdienst) in Verzweiflung nach vorne geht, wird ihm besonderer „Biss“ und vermeintlich höhere Belastbarkeit attestiert. Ein fataler Fehlschluss, der erst dann auffällig wird, wenn es sich eben NICHT um einen Arbeitshund, sondern einen reinen Familienhund handelt. Von dem will man ein solches Verhalten nämlich keinesfalls sehen.

Der sogenannte Familienhund ist aber unter Umständen auch nicht besser dran. Der wird vielleicht nicht im Sport zur Höchstleistung animiert – jedoch gerne zur Auslastung mit Ballwerfen oder Ausflügen zur Hundefreilauffläche bespaßt. Und auch hier kommt der „Kick“ aus dem oben beschriebenen Neurotransmitter-Cocktail zum Tragen: die Hunde gehen weit über ihre körperlichen Grenzen. So werden Bällchen-Junkies gemacht und entstehen Raufereien auf der Freilauffläche, von Verschleißerkrankungen gar nicht erst angefangen.

„Geht nicht“ gibt es sehr wohl!

In einem Seminar erzählte mir der Besitzer eines großen Mischlings ganz stolz, dass sein 12-jähriger Rüde immer noch ausgiebig mit den anderen Hunden auf der Hundewiese mitrennen würde: „Und selbst nach zwei Stunden will der noch nicht ins Auto zurück, da muss ich ihn immer festhalten und reinheben!“ Dass der Hund vielleicht nicht mehr ins Auto springen KANN, weil er völlig überanstrengt war und die Gelenke schmerzten, kam ihm nicht in den Sinn.

Ich würde mir wünschen, dass bei aller Liebe und allem Stolz, die wir für unsere Hunde hegen, das Wohlergehen des Hundes im Vordergrund steht. Auch Hundekörper haben ihre Grenzen. Diese sollte jeder Hundebesitzer bei seinem Hund kennen und respektieren. Im Zweifelsfall Rücksicht auf den Hund zu nehmen und die eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen, mag bisweilen wehtun. Aber den Hund Schmerzen aushalten zu lassen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ist niemals eine Option.