Das ist ja mal ein dicker Hund!
Als Sprichwort zum Ausdruck milder Empörung ist dieser Satz wahrscheinlich inzwischen in der Mottenkiste veralteter Redewendungen verschwunden. Im Alltag allerdings geht er mir häufiger mal durch den Kopf – doch dann nicht aus Empörung, sondern eher aus Mitleid.
Zuerst muss ich dabei allerdings an eine Anekdote aus der Zeit mit meinem ersten Hund denken: Ein netter Labrador, der mit meiner Schäferhündin fröhlich Fangen rund um Herrchens Auto spielte (und eigentlich hätte ins Fahrzeug steigen sollen), wurde von seinem Besitzer mehrfach gerufen. Die fehlende Reaktion auf Herrchens Anfrage wurde von diesem mit „Na, das ist ja mal ein dicker Hund!“ kommentiert. Da der Labbi leider tatsächlich deutlich übergewichtig war, entbehrte die Situation nicht einer gewissen Komik.
Ein dicker Hund ist nicht süß!
Komisch, ulkig oder gar niedlich ist Übergewicht bei Hunden aber definitiv nicht. Im Gegenteil: (Über-)Gewicht ist ein ganz entscheidender Faktor, wenn es um die Lebensqualität und sogar die Lebensdauer beim Hund geht. In der Theorie wissen und verstehen wir das: Übergewicht belastet die Gelenke ganz enorm, schränkt die Bewegungsfreude ein und erhöht das Risiko für Arthrosen, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und sogar Krebserkrankungen erheblich. In der Praxis sind jedoch nach Schätzungen des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte bis zu 50 % aller Hunde in Deutschland übergewichtig oder sogar adipös.
So informiert, würden viele Hundebesitzer sicher gern das Gewicht ihres Hundes reduzieren. Doch häufig scheitert das schon am sehnsüchtigen Blick, den uns unsere Hunde zuwerfen, wenn wir etwas Leckeres essen oder zubereiten. Ich selbst teile mein Essen sehr gern mit meinen Hunden und das wissen die auch. Es spricht nichts dagegen – vorausgesetzt, solche Extra-Leckereien werden dann von der normalen Portion wieder abgezogen.
Wie füttert man eine halbe Portion (dem) Hund?
Doch schon diese „normale“ Portion kann den liebenden Hundehalter vor ein echtes Problem stellen: Das sieht so schrecklich wenig aus! Hier spreche ich durchaus aus Erfahrung. Wenn man nämlich sein halbes Leben lang mit Hunden in einer (gesunden) Gewichtsklasse von 30 kg und mehr gelebt hat, kann die Fütterung eines kleinen Hundes mit gerade mal 9 kg Idealgewicht eine echte Herausforderung darstellen. Diese Mini-Portionen verschwinden regelrecht im Napf und im Vergleich zu den Futtermengen für die „großen“ Hunde sind sie nahezu nichts…
Ein simpler Trick, um die tatsächliche Futtermenge nach „mehr“ aussehen zu lassen: Man nimmt einfach einen deutlich kleineren Napf. Darin erweckt dann auch eine vermeintlich winzige Portion wieder den Eindruck einer gut gefüllten Futterschüssel. Das funktioniert selbstverständlich bei Hunden, Näpfen und Portionen in jeder Größe und kann als erster Schritt zur Gewichtsreduktion sehr sinnvoll sein.
Die Menge macht das Übergewicht.
Die empfohlene Futtermenge auf der Verpackung von Fertigfutter sollte übrigens in diesem Zusammenhang bitte NICHT als verbindliche Angabe gesehen werden: Die Empfehlungen der Hersteller liegen meist weit über dem eigentlichen Bedarf eines normal aktiven Hundes. Wer also glaubt, mit der Einhaltung dieser angegebenen Futtermenge alles richtig zu machen, füttert seinem Hund meist eine zu große Ration.
Genau wie beim Menschen sind der Stoffwechsel und damit auch die Verwertung der Nahrung von Hund zu Hund sehr unterschiedlich und ganz individuell. Größe, Alter, Aktivität, Art und Dauer der Bewegung, Nervenkostüm und Gesundheitszustand sind weitere Faktoren, die hier Einfluss nehmen. Daraus ergibt sich, dass die Futtermenge und auch die Zusammenstellung der Ration im Laufe der Jahre auf die jeweiligen Lebensumstände des Hundes angepasst werden müssen.
Broschüre für Hundebesitzer, zur Abgabe an Ihre Kunden in der Tierarztpraxis oder Hundeschule.
Essen macht Spaß. Füttern noch viel mehr…
Weshalb den meisten Menschen das Füttern von Hunden so viel Freude bereitet, weiß ich nicht. Dass es das tut, erlebe ich mit den eigenen Hunden jeden Tag selbst. Und auch Nicht-Hundehalter scheinen eine große Befriedigung daraus zu ziehen. Wenn wir bei meinen Eltern zu Besuch sind, führt der erste Weg der Hunde in die Küche. Denn dort gibt es immer (IMMER!) eine besondere Leckerei, die extra für die Vierbeiner beiseitegelegt wurde. Daraus ist mittlerweile ein felsenfest etabliertes Ritual geworden.
Solche Rituale können aber auch eine ganz passable Falle in Sachen Gewichtskontrolle darstellen. Vor allem dann, wenn mehrere Personen im Haushalt den Hund mit Futter oder Leckerchen versorgen. Wie im Fall von „Max“, einem mittelgroßen Mischling, der zur Behandlung nach einer Kreuzband-OP zu mir in die Praxis kam.
Der Speck muss weg!
Meine erste Bitte an die Besitzerin war, den Hund auf Diät zu setzen: Max war ganz deutlich übergewichtig, was eine große Belastung für sein frisch operiertes Knie darstellte. Die Dame beteuerte, dass Max nur Diätfutter vom Tierarzt in genau der vorgeschriebenen Menge zu fressen bekäme. Dass das sowieso schon nur ganz wenig sei. Und sie sich wirklich nicht erklären könne, weshalb der Max einfach nicht abnehmen würde.
Im Gespräch stellte sich heraus, dass Max sehr wohl noch nebenher gefüttert wurde. Abends gab es von Herrchen immer eine Scheibe Wurst vom Tisch. Die Kinder nahmen Leckerchen auf den Spaziergang mit. Und wenn der Hund bei Oma war, durfte er dort immer ein paar Kekse… Alles in allem war noch nicht einmal klar, was und wieviel sich der Hund über den Tag tatsächlich nebenbei einverleibte.
Und keiner will’s gewesen sein.
Ziemlich sicher war also nicht Max‘ Futterration, sondern seine zusätzliche Nascherei für sein Übergewicht verantwortlich. Deshalb bat ich die Besitzerin inklusive der gesamten Familie um Kooperation: Es wurde eine separate Schüssel bereitgestellt, in die jedes Familienmitglied genau dieselbe Menge/Anzahl an Leckereien legte, die im Hund landeten. Jeder Würfel Käse, jede Scheibe Wurst, jeder Keks, jede Brotkruste – ALLES wanderte auch zusätzlich in die Schüssel. Jeden Tag, eine Woche lang.
Jeden Abend vor dem Zubettgehen wurde die Schüssel kontrolliert: Nun war deutlich zu sehen, welche Menge an zusätzlichen Nahrungsmitteln Max über den Tag verteilt zu sich nahm. Das Entsetzen war groß, denn jedes Familienmitglied hatte in dem Glauben, eine Kleinigkeit zwischendurch schade ja nicht, den armen Max unwissentlich quasi gemästet…
Viele kleine geben auch ein großes Ganzes.
Dieser „Schüssel-Trick“ ist (nicht nur in einem Mehrpersonenhaushalt) eine wirklich einfache Möglichkeit, um herauszufinden, was und wieviel der Hund am Tag nebenbei an Futter konsumiert. Anhand des Ergebnisses lässt sich dann auch leichter festlegen, was davon entfallen beziehungsweise in Größe oder Menge reduziert werden kann oder muss.
Die Größe der zusätzlichen Delikatessen kann dabei tatsächlich auch eine Rolle spielen. Eine einzelne Scheibe Wurst fällt bei einem Schäferhund im wahrsten Sinne des Wortes kaum ins Gewicht. Für einen Chihuahua stellt sie – rein kalorienmäßig – schon fast eine halbe Mahlzeit dar. Unseren Hunden ist es im Prinzip nur wichtig, DASS sie beispielsweise die „ritualisierte Wurst vom Abendbrot“ erhalten. Wenn die Scheibe nur noch eine halbe ist, lässt sie das nicht vom Glauben abfallen, spart aber Kalorien.
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Und schwupps – aufgegessen!
Nun sind Hunde bekanntlich Schlingfresser. Bedeutet: Das große Stück Käse ist genauso schnell im Magen verschwunden, wie ein kleines Würfelchen davon. Und je größer die Gier nach Futter, desto schneller ist der Hund im Verputzen der Menge. Das gilt nicht nur für zusätzliche Leckers – es betrifft auch die Futteraufnahme der normalen Ration. Davon kann so mancher Hundebesitzer ein Lied singen: Kaum steht der Napf auf dem Boden, ist er auch schon leer.
Um die Dauer der Nahrungsaufnahme unserer Hunde zu verlängern, stehen etliche kreative Möglichkeiten zur Verfügung. Trockenfutter gibt es in unserem Haushalt beispielsweise niemals aus dem Napf. Die Futterration wird großzügig im Garten verstreut und die Hunde sammeln ihr Frühstück 5 bis 10 Minuten lang ein – statt es in unter 30 Sekunden aus dem Napf zu inhalieren.
Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?
Wenn das Wetter gar zu scheußlich ist, darf die Ration auch mal aus einem sogenannten Slow-Feeder gepuzzelt werden. Das sind Plastiknäpfe, die im Inneren eine Art Labyrinth aus Schnecken, Kurven oder kleinen Stöpseln haben. Das verlangt am Anfang etwas Geduld und Übung seitens des Hundes und kann daher für Frust sorgen – das sollte natürlich nicht passieren. Zu Übungszwecken kann man den Hund anfangs nach der eigentlichen Mahlzeit (also im halbwegs satten Zustand) Leckers aus dem Feeder puhlen lassen.
Auch der gefüllte Kong® ist eine schöne Möglichkeit, dem Hund Futter und Beschäftigung gleichzeitig anzubieten. Dieses Ding lässt sich mit wirklich jeder Art von Futter befüllen und sorgt im gefrorenen Zustand für besonders langes „Bastelvergnügen“. Auch in Ausnahmefällen – wie zum Beispiel Boxenruhe nach einer Operation – kann man einen Hund mit dieser Art von Fütterung glücklich machen.
Bei aller Futterbespaßung dürfen sich meine Hunde jedoch mindestens eine Mahlzeit pro Tag einfach so aus dem Napf „reinhauen“. Ganz ohne basteln und ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Diesen Anspruch würde ich auch geltend machen für jeden Hund, der am Tag schon etwas zu tun hatte: Wer beim Training (welcher Art auch immer) bereits Arbeit geleistet hat, der hat sich seine Mahlzeit ohne weiteren Aufwand verdient.
Liebe ist Verantwortung.
Der dicke Hund aus der eingangs erwähnten Anekdote lebt schon längst nicht mehr, die Begebenheit liegt viele Jahre zurück. Er wurde erstaunlich alt – trotz seines Übergewichts, das er viele Jahre mit sich herumschleppte. Aber er schleppte sich wirklich damit, lange bevor er alt wurde. Rennspiele und Toben waren nur in ganz jungen Jahren sein Ding.
Ich kann nicht beurteilen, was er an Lebensqualität dadurch eingebüßt hat. Fakt ist aber, dass Hunde sich im Normalfall überaus gerne bewegen und es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie das auch können. Selbst wenn es den Verzicht auf den einen oder anderen Keks bedeuten sollte, denn Liebe geht eben nicht nur durch den Magen.
Dicker Beagle: Photo by Anthony Fomin on Unsplash (Ausschnitt)