Hund rennt fröhlich auf Wiese

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Hunde sind bekanntlich für Überraschungen gut. Manchmal – vor allem, wenn es um gesundheitliche Belange geht – sind diese Überraschungen nicht von der erfreulichen Sorte. Mal scheint es dramatisch und ist es dann doch nicht: Glück gehabt und Grund zur Freude. Mal denkt man nichts Böses und trotzdem stellt sich heraus: gar nicht so harmlos. Hin und wieder ist Detektivarbeit nötig, wenn man der Ursache für bestimmte Beschwerden auf die Schliche kommen will. Und ab und an kann auch Intuition lebensrettend sein.

Zu früh gefreut?

Eine Patientenbesitzerin hatte mit ihrem Labrador-Mädchen meine Hundephysio-Praxis zur weiterführenden Behandlung und Reha nach erfolgter ED-Operation aufgesucht. Die Hundehalterin setzte das von mir verordnete Hausaufgabenprogramm konsequent um und Betty belastete das operierte Bein inzwischen wieder normal. Bis sie sich eines Tages zu einem wilden Rennspiel mit dem Nachbarshund hinreißen ließ. Die Folge: die Labradordame war danach stocklahm, dieses Mal auf der anderen Seite.
Die Besitzerin rief mich an und wollte wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass sich Betty nun auch den anderen Ellbogen verletzt haben könnte. Leider bin ich nicht mit Röntgenblick ausgestattet (den ich mir im Zusammenhang mit gesundheitlichen Beschwerden beim Hund schon so oft gewünscht habe…), also bat ich sie, ihren Tierarzt aufzusuchen.

Wenn sie nur reden könnten…

In der Tierarztpraxis wurde das betroffene Bein gründlich untersucht, Röntgenbilder angefertigt – und nichts gefunden. Die Erleichterung über ein offenbar intaktes Ellbogengelenk wurde aber von der Sorge um den nach wie vor stark lahm gehenden Hund deutlich getrübt.
Im Anschluss an den Tierarztbesuch saß die Besitzerin zuhause mit Betty auf dem Boden und massierte vorsichtig das betroffene Bein. Traurig darüber, dass ihr kleiner Wirbelwind nach so kurzer Zeit schon wieder Schonung, Leinenzwang und Schmerzmittel verordnet bekommen hatte, nahm sie die Pfote in die Hand, um die Zehengelenke auszustreichen. Das hatte Betty nach ihrer OP immer sehr genossen und sie entspannt. Nun aber zog die Hündin immer wieder die Pfote weg und war überhaupt nicht begeistert von der ihr zugedachten Behandlung.

Moment mal!?

Die Besitzerin war nicht nur verwundert – sie wurde auch misstrauisch. Irgendetwas war da komisch und definitiv anders als sonst. Sie untersuchte Bettys Pfote gründlich und fand im Zwischenzehenraum des Rätsels Lösung: ein großer Dorn hatte sich seitlich fast vollkommen in den Ballen eingespießt. In der Tierarztpraxis hatte man zwar das Ellbogengelenk geröngt, den Dorn in der Pfote jedoch offensichtlich nicht entdeckt.
Mithilfe einer Pinzette und viel Fingerspitzengefühl gelang es Bettys Besitzerin, den pflanzlichen Fremdkörper zu entfernen. Am nächsten Tag berichtete sie mir telefonisch von ihrem Fund und wir freuten uns beide gleichermaßen darüber, dass Bettys Missgeschick so glimpflich ausgegangen war – auch wenn das zu unnötigen Kosten geführt hatte. Aber manchmal ist Glück im Unglück das Beste, was man sich wünschen kann.

Kleine Ursache – große Wirkung.

Genaues Hinsehen lohnt sich grundsätzlich, um eine möglicherweise harmlose Ursache auszuschließen. Das Wichtigste hierbei: Ruhe bewahren. Und einen klaren Kopf. Das kann schon eine Herausforderung darstellen, wenn man die vermeintlichen Schwachstellen des Hundepatienten bereits kennt und ein klar definiertes gesundheitliches Problem quasi als Dauerbaustelle vorliegt.
Sollte jedoch tatsächlich nichts zu finden sein, führt der direkte Weg ganz klar und auch umgehend zum Tierarzt. Auch die fachgerechte und vollständige Entfernung eines Dorns aus der Pfote gelingt unter Umständen nicht immer so glücklich...

Wenn sich kein klares Bild ergibt.

Pinscher-Mix Pitú hatte bereits im Vorjahr einen Bandscheibenvorfall erlitten. Weil ihn dasselbe Schicksal nun offenbar erneut ereilt hatte, wurde seine Besitzerin von ihrem Tierarzt zu mir geschickt. Die konservative Behandlung war beim letzten Mal erfolgreich gewesen und zusätzliche Physiotherapie hielt er für angebracht.
Da stand das Pinschermännlein nun wie ein Häufchen Elend in der Praxis, zitternd und mit aufgekrümmtem Rücken und trotz Schmerzmitteln ein Bild des Jammers. Von der Besitzerin hochheben ließ er sich gar nicht mehr und schrie auch bei dem Versuch laut auf.
Während Pitú sich unter der Rotlichtlampe etwas entspannte, füllten wir den Anamnesebogen aus. Dabei stellte sich heraus, dass der Hund dieses Zittern und den aufgekrümmten Rücken nicht nur jetzt, sondern immer wieder einmal zeigte und dann auch Unmengen an Gras fressen wollte. Das passte nun nicht so richtig zu einem Bandscheibenvorfall und machte mich stutzig.

Das Ganze ist mehr, als die Summe seiner Teile.

Es kommt vor, dass Hunde Übersprungshandlungen zeigen, wenn sie unter Schmerzen leiden – dazu kann durchaus auch hektisches Grasfressen gehören. Wenn dann allerdings (wie in diesem Fall) im Vorfeld noch lautes Bauchgluckern und das Erbrechen von Galle im Spiel sind, kann das ebenso gut zu anderen Erkrankungen oder Medikamentenunverträglichkeiten passen.
Die Gabe von Schmerzmitteln hatten die gekrümmte Körperhaltung und das Zittern von Pitú interessanter Weise überhaupt nicht verbessert. Der Spuk war aber relativ schnell vorbei, wenn er mehrmals am Tag ein Stück Reiswaffel zu fressen bekam.
Durch Abfragen der Fütterungsgewohnheiten kristallisierte sich heraus: Pitú zeigte den aufgekrümmten Rücken inklusive Zittern manchmal in der Woche nach der Spätschicht seiner Besitzerin. Während der Spätschicht-Zeiten gab es später Futter und damit blieb der Magen deutlich länger leer. Durch eine kurzfristige Änderung im Dienstplan hatte die Dame nun zwei Wochen in Folge Spätschichten gearbeitet und Pitús Symptome hatten vor einer Woche begonnen.
Normalerweise wäre die Entwicklung der Symptomatik wohl durch den Wechsel zur Frühschicht abgefangen worden – doch das war dieses Mal nicht möglich gewesen.

Rücken- oder Bauchschmerzen?

Da zwar Pitús Rücken beim Abtasten schmerzfrei zu sein schien, der Bauch aber laut gluckerte und extrem berührungsempfindlich war (und deshalb auch das Hochheben schmerzhaft!), bat ich die Besitzerin um weitere Abklärung beim Tierarzt.
Nach einer Umstellung der Fütterungsart und -zeit (sowie anfänglicher Medikamentengabe) gehörten das Zittern und die gekrümmte Haltung schließlich der Vergangenheit an. Der kleine Pinscher-Mix war wieder munter und sein Frauchen sehr erleichtert, weil sie nun wusste, was zu tun war.
Ob Pitú beim ersten Mal tatsächlich einen Bandscheibenvorfall gehabt hatte oder auch hier der Magen-Darm-Trakt die Ursache für seine Schmerzen gewesen war, bleibt offen. Das Ganze ist zwar kein Erfolg, welcher der Hundephysiotherapie zu verdanken wäre – aber definitiv ein gutes Ergebnis und eine Verbesserung der Lebensqualität für Hund und Mensch.

Ein zweiter Blick lohnt immer.

Auch in diesem Fall zeigt sich, dass genaues Beobachten und Erkennen der Zusammenhänge Gold wert sein kann. Deshalb halte ich es für unerlässlich, dass jeder Hundebesitzer seinen Hund so genau wie möglich kennen sollte, um Veränderungen möglichst rechtzeitig zu bemerken. Solche Beobachtungen sollte man dem Tierarzt selbstverständlich mitteilen, denn auf diese Weise können die richtigen Fragen gestellt und dann auch eine passende Behandlung eingeleitet werden.
Es kommt jedoch auch vor, dass aus einer Kleinigkeit plötzlich eine größere Angelegenheit wird. Da erwähnt man bei einem Routine-Tierarztbesuch beiläufig einen vermeintlich harmlosen „Knubbel“, weil man ja sowieso schon dort ist. Die kleine Beule wird beim Abtasten für wahrscheinlich unbedenklich befunden – vielleicht ein Lipom? Weil sich die Tierärztin mit dieser Annahme aber nicht hundertprozentig sicher fühlt, fragt sie, ob eine Feinnadelbiospie in meinem Sinne sei. Zugestimmt, Biopsie entnommen und ab ins Labor damit.

Kleine Beule mit großen Folgen.

Das Ergebnis eine Woche später überraschte uns beide: ein Mastzelltumor. Vermutlich Grad 1 (also noch in einem relativ harmlosen Stadium), genauer bestimmbar durch angeratene Entnahme (also OP). Die Operation erfolgte in der onkologischen Abteilung einer großen Tierklinik, an welche mich die Haustierärztin verwiesen hatte. Es wurde so großzügig wie irgend möglich geschnitten und zur Sicherheit auch der nächstgelegene Lymphknoten entnommen. Die zweite Überraschung kam mit dem pathologischen Befund: Grad 2 (nicht mehr ganz so harmlos), einzelne Mastzellen auch im Lymphknoten vorhanden (der Tumor beginnt zu streuen).
Es folgte eine Chemotherapie über 6 Monate, die zum Glück recht komplikationslos verlief. Und bisher zumindest kann die ganze Aktion als erfolgreich abgeschlossen betrachtet werden. Ohne die Intervention unserer Tierärztin (die sich hinterher auch noch dafür entschuldigte, dass aus ihrem „Bauchgefühl“ so ein riesiger Aufwand wurde), wäre mein Hund womöglich einem unentdeckten Krebsleiden zum Opfer gefallen. Er war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal 5 Jahre alt.

Eins nach dem anderen und lieber einmal mehr.

Eine zunächst geringfügig erscheinende Veränderung (kleine Beule) kann also dramatischer sein, als im ersten Moment angenommen. Umgekehrt ist eine dramatisch aussehende Veränderung (starke Lahmheit) nicht in jedem Fall Anlass, das Schlimmste anzunehmen. Um jedoch sicher zu sein, ob und in welchem Umfang jeweils Handlungsbedarf besteht, muss der Hundehalter seinen Hund wirklich sehr gut kennen und letztlich auch seinem Tierarzt vertrauen.
Hier lautet die Devise: im Zweifelsfall lieber einmal zu oft, als einmal zu wenig zum Tierarzt gehen. Führt die Behandlung auch nach angemessener Zeit nicht zum Erfolg, wird unter Umständen der Besuch beim Fachtierarzt notwendig. Diesen kann man nach Überweisung durch den Haustierarzt oder ganz nach eigenem Ermessen aufsuchen. Selbst wenn das bei aufwändigeren Untersuchungen und Maßnahmen eine kostspielige Angelegenheit werden kann: das Wohl des Hundes steht im Vordergrund.
Den wegen teurer Chemotherapie ausgefallenen Urlaub habe ich nach dem Blick in das lachende Gesicht meines Hundes jedenfalls nicht vermisst.