Die „Buchstabenkrankheiten“ – Teil 2: Ellbogendysplasie (ED)
Der Sammelbegriff „Ellbogendysplasie“ fasst verschiedene wachstumsbedingte Erkrankungen des Ellbogengelenks zusammen. Auch hier haben wir es mit einer erblichen Komponente zu tun, die sich nur wenig bis gar nicht von außen beeinflussen lässt und mit der Bildung von Arthrosen einhergeht. Einige Zuchtverbände haben daher das verpflichtende Röntgen zur Zuchtzulassung im Hinblick auf die ED als verbindlich in ihre Satzung aufgenommen.
Geschädigte Ellbogengelenke sind – bezogen auf den gesamten Bewegungsapparat – besonders kritisch zu sehen: Die Vorderhand trägt beim Hund den größeren Anteil des Körpergewichts (zwei Drittel), fängt den Schwung aus der Hinterhand auf und ist in besonderem Maße Belastungen ausgesetzt bei allen Abwärtsbewegungen und insbesondere bei der Landung nach Sprüngen. Daraus ergibt sich, dass Hunde mit Ellbogendysplasie früher oder später unter deutlichen Einschränkungen leiden, zudem gibt es nur wenige effektive Behandlungsmöglichkeiten.
Das Ellbogengelenk wird von drei aufeinandertreffenden Knochen gebildet: Oberarm (Humerus), Elle (Ulna) und Speiche (Radius). Elle und Speiche umschließen gemeinsam die Gelenkrolle des Oberarms in Form eines weit geöffneten „C“. Damit ist dieses Gelenk nicht nur komplizierter aufgebaut, als beispielsweise das Hüftgelenk – es ist auch deutlich anfälliger für Arthrosebildung schon bei minimaler Inkongruenz. Erste Anzeichen für eine Ellbogendysplasie treten bei Hunden häufig im Alter von vier bis fünf Monaten während des stärksten Wachstumsschubes auf.
Ein Merkmal der ED kann das wechselnde Befinden des Hundes sein: Gestern lief er nahezu problemlos, heute lahmt er stark. Hierfür sind lose Knochenstücke oder Knorpelschuppen verantwortlich, die je nach Lage im Gelenk dieses unterschiedlich stark reizen. Wenn der Junghund also morgens noch fröhlich über die Wiese tobt, am Abend oder am nächsten Tag aber deutlich humpelt, sollte das ein Alarmzeichen sein. Gerade junge Hunde vergessen sich beim Spielen und Toben gern – das ist kein Zeichen dafür, dass alles in Ordnung ist.
Ein frühzeitiges Erkennen der jeweils vorliegenden Erkrankung und entsprechende Diagnostik sowie Operation des Gelenks sind gerade bei der ED von großer Bedeutung für die künftige Lebensqualität des betroffenen Hundes. Es reicht NICHT aus, ein einzelnes Röntgenbild des Ellbogengelenks anzufertigen! Und oft genug lässt sich eine konkrete Diagnose – vor allem bei Knorpelschäden oder sehr kleinen Knochenfragmenten – mittels Röntgenaufnahmen gar nicht abbilden. Das Aufsuchen einer orthopädisch spezialisierte Klinik mit der Möglichkeit zum CT/MRT ist hier dringend angeraten.
Isolierter Processus Anconaeus (IPA)
Der Processus anconaeus ist ein Knochenfortsatz der Elle. Er verbindet sich mit dieser erst im Laufe des Wachstums durch eine knöcherne Fusion der Wachstumsfuge. Wird dieser Vorgang behindert oder unterbrochen, entstehen durch den nun beweglichen Gelenkfortsatz Reizungen und Schäden im Gelenk. Die Folge sind starke Schmerzen und sehr schnell auch erhebliche Arthrosen. Häufig zu sehen ist eine typische Körperhaltung bei Vorliegen eines IPA: Das Eindrehen des Ellbogens an den Körper zur Entlastung des Gelenks und das zeitgleiche nach außen Drehen der Pfote des betroffenen Vorderbeins.
Fragmentierter Processus Coronoideus (FPC)
Beim Processus coronoideus handelt es sich um einen weiteren Knochenfortsatz der Elle, der durch inkongruentes Wachstum von Elle und Speiche oder durch zu große Belastung durch den Oberarmknochen abgesprengt werden kann. Auch hier reizt und schädigt das lose Knochenstück das Ellbogengelenk auf schmerzhafte Weise und führt zu rascher Arthrosebildung. Die typische Körperhaltung ist hier genau umgekehrt: Der Ellbogen wird nach außen gedreht und die Pfote des betroffenen Vorderbeins nach innen.
Osteochondrosis Dissecans (OCD)
Dieser Begriff bezeichnet eine weitere Unterart der Ellbogendysplasie, die bisweilen in Kombination mit einem fragmentierten Processus coronoideus auftritt (seltener auch allein). Hierbei handelt es sich um einen im Wachstum entstehenden Knorpeldefekt der Gelenkfläche. Da die OCD jedoch in allen großen Gelenken vorkommen kann, wird sie im nächsten Artikel gesondert beschrieben.
Stufenbildung
Eine Stufe im Ellbogengelenk kann sich dann bilden, wenn Elle und Speiche unterschiedlich schnell wachsen (Short Ulna-Syndrom oder Short Radius-Syndrom). Hierbei können in der Folge IPA oder FCP ausgelöst werden – doch schon allein die Stufenbildung führt zu ungleichmäßiger Belastung der Gelenkflächen, Reibungspunkten und der Entstehung von Arthrosen.
Fazit: Frühzeitige Diagnose und Operation können die Ellbogendysplasie bzw. ihre Folgen zwar nicht verhindern, aber die Aussicht auf ein lebenswertes Hundeleben deutlich verbessern. Nach einer erfolgten OP kann Physiotherapie unterstützend und aufbauend eingesetzt werden. Oft lässt sich dadurch der Einsatz von Schmerzmitteln im weiteren Verlauf reduzieren oder nach hinten verschieben. Auch hier gilt: Den Hund gut beobachten und je nach Bedarf unterstützen!