Vor dem ersten eigenen Hund war ich mehrere Jahre ehrenamtliche Gassigängerin und habe auch Vor- und Nachkontrollen für einen Tierschutzverein durchgeführt. Meine drei Second-hand-Hunde stammten nicht aus dem Tierschutz, die kamen aus privaten Abgaben. Und vor über zehn Jahren zog schließlich das erste Mal ein Welpe vom Züchter ein. Ich kenne also verschiedene Blickwinkel der Anschaffung eines Hundes und in etwa 30 Jahren habe ich sowohl privat als auch beruflich alle möglichen Konstellationen von Hunden und Menschen erlebt, behandelt, trainiert und begleitet.

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Der „gebrauchte“ Hund

Die drei Schäferhunde, die mein Leben bereichert haben, waren allesamt in verschiedenen Lebensstadien irgendwo überflüssig geworden. Alle hatten eine mehr oder weniger lange Vorgeschichte und entsprechend körperliche und/oder wesensmäßige Baustellen – die bei allen dreien erst nach Wochen oder Monaten zutage traten. Das ist ein Punkt, mit dem man bei der Übernahme eines Second-hand-Hundes immer rechnen muss: Die Beschreibung (wenn es denn eine gibt) kann noch so ehrlich gemeint sein (wenn das überhaupt der Fall ist), Überraschungen können trotzdem immer vorkommen. In einem neuen Umfeld kann sich ein Hund ganz anders zeigen als zuvor.

Hinzu kommt die Zeit, die jeder Hund braucht, um sich in seinem neuen Leben zurechtzufinden. Die 3/3/3-Regel gilt für privat übernommene Hunde genauso, wie für Tierschutzhunde: Sie brauchen 3 Tage zur Orientierung, 3 Wochen zur Eingewöhnung, 3 Monate, bis ein Gefühl von Sicherheit entsteht. Die Zahl 3 ist selbstverständlich nur ein ungefährer Anhaltspunkt. Ein Hund mit traumatischer Vorgeschichte wird vermutlich mehr Zeit benötigen, um in seinem neuen Leben Fuß zu fassen. Ein Hund, der bisher wenig von dem bekam, was er brauchte, wird sich gegebenenfalls schneller einleben, wenn seine Bedürfnisse jetzt erfüllt werden. Nur eins ist sicher: Verlassen kann man sich nicht darauf.

Station Shelter/Tierheim/Pflegestelle

Die Beschreibung eines Hundes im Tierheim (oder gar Auffangstation/Shelter) darf mit einer gewissen Portion Vorsicht genossen werden. Der Vierbeiner lebt hier in einer Ausnahmesituation, die wenig Rückschlüsse auf sein Verhalten im Alltag zulässt. Eine halbwegs realistische Einschätzung kann man erwarten, wenn der Hund auf einer Pflegestelle untergebracht ist. Doch auch hier können eben ganz andere Lebensumstände herrschen, als in meinem eigenen Zuhause. Kritisch wird es zum Beispiel, wenn der Hund mit der Aussage „freundlich zu Kindern“ abgegeben wird – und sich im Anschluss herausstellt, dass er nur Kinder im Grundschulalter kennt, das Krabbelkind jedoch extrem gruselig findet. Oder die Kinder in der Familie problemlos akzeptiert, ihre Spielkameraden aber das Haus nicht mehr betreten dürfen.

Im Idealfall findet eine Art Assessment statt: Der Hund wird in verschiedenen Situationen „getestet“, um eine möglichst realistische Einschätzung seines Verhaltens zu erhalten. Das ist jedoch in einem überfüllten Tierheim kaum mehr möglich, in einer reinen Auffangstation irgendwo im Ausland noch weniger. Deshalb kann eine Adoptionsentscheidung via Internet mit viel Glück tatsächlich gut gehen – aber genauso auch zur Katastrophe werden: Wenn ein Hund aufgrund seiner Optik ausgesucht wird oder man sich in den Blick unsterblich verliebt hat und dann feststellen muss, dass der Angsthund von der Straße lieber allein hinter dem Sofa wohnt, sich nicht anfassen lässt und so gar nicht dankbar für seine „Rettung“ ist.

Die dunkle Seite des „Tierschutzes“

Seit Jahre steigt die Zahl der Tierschutzorganisationen, die Hunde aus dem Ausland importieren. Manche von ihnen unterhalten Auffangstationen vor Ort, unterstützen Kastrationsaktionen und leisten Aufklärungsarbeit bei der örtlichen Bevölkerung. Das sind die tatsächlich „Guten“ und ihre Arbeit ist ungemein wichtig. Die schwarzen Schafe hingegen sammeln von der Straße auf, was bei drei nicht auf dem Baum ist und verkaufen diese Hunde für überraschend hohe Summen in Deutschland. Mittlerweile steht der begründete Verdacht im Raum, dass bewusst Welpen für Adoptionswillige produziert werden, denn „Adopt, don’t shop“ ist mächtig „in“ – und eine nicht zu unterschätzende Einkommensquelle für gewissenlose Betrüger.

Hier geht es nicht um die Vermittlung, sondern den Gewinn bringenden Verkauf von Hunden unter dem Deckmantel des Tierschutzes. Sie spielen das Leid der Vierbeiner gegen das Mitleid der Zweibeiner aus und schaden dem Ruf der seriös arbeitenden Organisationen. So mancher Besitzer eines Welpen, der in irgendeinem Land „von der Straße gerettet“ wurde, ist unwissentlich am Elend der Hunde vor Ort beteiligt. Da will man dem gierigen Züchter in Deutschland kein Geld in den Rachen werfen und „rettet“ lieber einen Straßenhund. Der aus einem absichtlich herbeigeführten Wurf stammt, weil sich niedliche Welpen besser verkaufen lassen, als traumatisierte Straßenhunde, die mit dem Leben hier gar nicht zurechtkommen.

In deutschen Tierheimen sitzen auch (zu) viele Hunde!

Nun kann man grundsätzlich darüber streiten, ob es richtig ist, Hunde aus dem Ausland zu importieren, während die Tierheime hier in Deutschland aus allen Nähten platzen. Wenn ich aber nicht einfach irgendeinen Hund (ungeachtet der Größe, Fellbeschaffenheit und Charaktereigenschaften) haben möchte, kann die Suche nach dem passenden Hund schwierig werden. Je konkreter meine Vorstellungen sind, desto länger muss ich suchen und hoffen, dass ich den gewünschten Hund nicht nur finde, sondern auch bekomme: Die Ansprüche, die seitens eines Tierheims an adoptionswillige Hundebesitzer gestellt werden, grenzen bisweilen an Absurdität und der eine oder andere Selbstauskunftsbogen lässt die spanische Inquisition blass erscheinen.

Die Voraussetzungen und Bedingungen, um einen Hund adoptieren zu dürfen, sind zum Teil völlig überzogen: Wohneigentum mit Garten ist ein Muss, der Hund darf höchstens zwei Stunden pro Tag alleine gelassen werden, ein geregeltes Einkommen soll nachgewiesen werden können und älter als 40 sollte man bitteschön auch nicht sein, damit einen der Hund nicht überlebt. Als junger Mensch (womöglich Single) hat man es auch nicht leichter, denn die Lebensumstände könnten sich ja ändern und was wird dann aus dem Hund?! Selbstverständlich sollen die Situation vor Ort und die Interessenten überprüft werden – aber die Anforderungen doch bitte auch realistisch bleiben.

Die andere Seite der Medaille: die Interessenten...

Umgekehrt gilt ganz klar dasselbe. Wenn ich ein Kind an seinem Geburtstag ins Tierheim mitnehme, damit es sich einen Hund aussuchen kann, wird das ziemlich sicher in großer Enttäuschung enden. Ein Tierheim ist kein Ort, an dem man quasi schaufensterbummeln oder gar „shoppen“ geht. Wie oft haben wir damals Interessenten abgewiesen, die mit einem energischen „Den nehmen wir!“ auf den niedlichen, aber leider bissigsten aller Insassen gezeigt haben oder der Oma heute zu ihrem 85. Geburtstag einen Welpen schenken wollten. Natürlich ist man froh für jeden Hund, der sein neues Zuhause findet – aber das muss eben auch passen, sonst sitzt der Kandidat ganz schnell wieder hinter Gittern.

Es ist unfassbar, welches Elend und welche Dramen man miterlebt, wenn man auf der anderen Seite des Tierheimzaunes steht. Da wird ein angeblicher „Fundhund“ abgeliefert, der sich am nächsten Tag als der Hund der Ehefrau entpuppt und einem Rosenkrieg zum Opfer gefallen ist. Der uralte, verfilzte und auch sonst vernachlässigte Pudelmix soll umgetauscht (!) werden in ein jüngeres Exemplar – soll sich doch das Tierheim um den Hundesenior kümmern. Der 12 jahre alte Schäferhund kann leider nicht mit ins neue Zuhause umziehen – da gibt es nämlich keinen Zwinger mehr. Und das sind die ganz harmlosen Beispiele. Man kann tatsächlich den Glauben an die Menschheit verlieren, wenn man im Tierschutz tätig ist.

Vermittlung um jeden Preis?

Adoptionswillige mit wenig Hundeerfahrung sind auf das Wissen und die Zuverlässigkeit der vermittelnden Stellen angewiesen. Und im schlimmsten Fall auch darauf, dass der Hund wieder zurückgegeben werden kann. Das mag im örtlichen Tierheim (unter Zähneknirschen) noch möglich sein – bei vielen Auslandstierschutzorganisationen ist das nicht der Fall. Das überfüllte Tierheim vor Ort kann ihn nicht aufnehmen und nun ist guter Rat teuer… Natürlich braucht alles seine Zeit und man selbst den Willen und das Durchhaltevermögen, den Hund „ankommen“ zu lassen. Wenn es dann aber trotzdem so gar nicht passt, kann die Aufnahme eines Tierschutzhundes ohne Plan B zur Vollkatastrophe für alle Beteiligten oder nur unter Selbstaufgabe gewuppt werden:

Der Herdenschutzhund (mit kupierten Ohren und aus dem Ursprungsland importiert), von einem deutschen Tierheim im Alter von 8 Monaten als „kuscheliges Bärchen“ vermittelt. An eine alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern. Die er nach wenigen Tagen im neuen Zuhause mit gefletschten Zähnen an die Wand stellt. Der nette Mischling aus dem Süden, vermittelt an eine Familie, die sich einen aktiven Begleiter für Radtouren und Wanderungen wünscht. Der sich nach Abgabe als nahezu dreimal so alt entpuppt, unter Futtermittelallergien und schwerer Hüftgelenksdysplasie leidet, zudem eine Mittelmeerkrankheit im Gepäck hat. Der trotzdem geliebt und mit viel Geld und Aufwand zwei Jahre gepäppelt wird, bis er verstirbt.
Das sind leider keine fiktiven Fallbeispiele und auch keine Einzelfälle.

Man muss sich ganz klar bewusst machen, dass man mit „Adopt, don’t shop“ sowohl den ultimativen Glückstreffer landen, als auch ganz böse auf die Nase fallen kann. Es reicht tatsächlich nicht aus, nur über den Willen (und die notwendigen Kenntnisse!) zu verfügen, um einem Tierschutzhund ein gutes Zuhause bieten zu können. Es gehört neben allem Engagement auch einfach eine gute Portion Glück dazu.

Wer Teil 1 zu diesem Thema verpasst hat, kann hier nachlesen.