Kleiner, grau-beiger Terriermix steht auf einem großen Naturstein

Dem Schmerz auf der Spur: Beobachtung, Analyse und Diagnostik (Teil 2)

Es gab keinen Vorfall oder Zeitpunkt, ab dem Rin plötzlich „anders“ gewesen wäre. Es dauerte einfach ein bisschen länger, bis sie zum Spaziergang bereit war. Beim Gassi trödelte sie häufiger hinter mir herum und hatte Wichtiges zu schnüffeln. Sie zergelte abends zwar mit dem Dude, beendete das Spiel aber früher und hatte immer seltener Lust dazu. Diese Veränderungen zogen sich über viele Monate, wahrscheinlich fast ein Jahr hin. Wenn man einen Hund täglich 24 Stunden um sich hat, ist das ein sehr langer Zeitraum, in welchem ein derart langsam fortschreitender Prozess einfach nicht auffällt.

Außer, man hält inne und denkt darüber nach, wie es „früher“ war. Wie hat sich der Hund noch vor einem halben Jahr, vor einem Jahr verhalten? Lief sie tatsächlich auf dem Spaziergang schon immer hinterher? Hat sie das Stoffknochi jemals freiwillig einem anderen Hund überlassen? Natürlich ist bei einem wirklich alten Hund ein halbes oder gar ganzes Jahr eine Menge Lebenszeit, in der bestimmte Aktivitäten und Fähigkeiten rapide nachlassen können. Aber bei einem Hund wie Rin mit (zu diesem Zeitpunkt) knapp 9,5 Jahren sollte das meine Aufmerksamkeit wecken!

Wind, Wetter, Wochenende.

Die verschiedenen Begründungen dafür, weshalb Rin weniger Aktivität zeigte, schienen zunächst durchaus plausibel. Da wäre das Wetter: Nässe, Hitze oder Kälte werden je nach individueller Veranlagung unterschiedlich belastend empfunden. Rin verabscheute beispielsweise Regenwetter schon immer; Kälte ist für einen kleinen, bodennahen Hund schwerer zu ertragen, als für einen großen Hund mit wetterfestem Fell. Und bei sommerlicher Hitze ist es durchaus schlau, irgendwo im Garten an einem kühlen Platz zu liegen und sich möglichst wenig zu bewegen.

Die „Wochenend-Falle“ ist klassisch: samstags und sonntags bleibt mehr Zeit für Spaziergänge. Längere Strecken oder Ausflüge, Spiel und Sport können auch beim gesunden Hund für Muskelkater sorgen. Ein angeschlagener Bewegungsapparat jedoch quittiert die größere Belastung spätestens am Montag mit Schmerzen und einem erhöhten Ruhebedürfnis. In Rins Fall kommt der tatsächliche „Montags-Blues“ noch obendrauf. Auch unter Schmerzmedikation zeigt sie sich nämlich deutlich aktiver und fröhlicher, wenn Herrchen Zuhause ist – nicht nur abends, sondern auch tagsüber bzw. am Wochenende.

Eine Frage des Charakters.

Hinzu kommt, dass sich Rin grundsätzlich überlegt, ob sich eine körperliche Anstrengung für sie auch lohnt – sie ist nicht umsonst die „Königin des Chillens“. Wenn der Australier auch nur im entferntesten erahnt, dass es Futter geben KÖNNTE, wird er wibbelig, setzt sich vor die Küche, rückt näher etc.. Die Terrierista hingegen beobachtet mich aus ihrem Hundebett und steht erst auf, wenn ich die Gabel am Napf abklopfe, denn JETZT wird serviert. Einen Weg zweimal gehen, um etwas zu erkunden? Nicht mit Rin. Während der Dude seine Nase begeistert in alles steckt, wartet sie im Hintergrund ab, ob das Ganze überhaupt eine Anstrengung wert ist.

Im Grunde ist Rin ein anspruchsloser Hund, der ohne besondere Bespaßung oder Aufgaben auskommt. Sie ist zwar mit Herrchen auf stundenlangen Foto-Exkursionen unterwegs, aber Strecke wird dabei kaum gemacht. Die Terrieristin sitzt gemütlich in der Wiese, guckt Mauslöcher oder zerkaut einen Stock – langweilig wird ihr dabei nicht. Wenn die Hunde aus Zeitgründen mal einen Tag zurückstecken müssen, flitzt sie einfach irgendwann 5 x ums Haus, schüttelt ein Spielie tot und ist wieder zufrieden. Rin gibt also prima einen „läuft so nebenher“-Hund ab. Und so werden Unpässlichkeiten viel leichter übersehen, als bei einem Hund, mit dem in irgendeiner Form gearbeitet wird.

Das Aussehen ist (nicht) alles.

Optisch ist Rin einfach ein echtes Niedlich: Geringe Körpergröße, flauschiges Plüschfell – und wenn man sie anspricht, wedelt sie mit der wuscheligen Ringelrute und guckt einen mit großen Kulleraugen an. Niedlichsein hat jedoch seinen Preis. Das watteweiche Fell klebt bei Regen innerhalb kürzester Zeit direkt auf der Haut und bietet auch trocken nahezu keinen Schutz vor Wind oder Kälte. Schnell zu frieren bringt Verspannungen mit sich und verspannte Muskulatur schmerzt nicht nur, sie beeinträchtigt den gesamten Bewegungsapparat. Also kommt ein Mantel auf den Hund – und zwar IMMER, wenn er friert. Da waren wir bisher vermutlich zu nachlässig.

Für Rins „Kleinheit“ sind lediglich ihre kurzen (und krummen) Beine verantwortlich – wäre die Beinlänge proportional zum Körper, wäre sie etwa knapp kniehoch. Rin ist damit ein sogenannter chondrodystropher Zwerg. Das bedeutet: sie ist klein, weil die langen Röhrenknochen im Wachstum gehemmt waren und die Beine damit kurz blieben. Zudem „verbiegen“ sich die Knochen dabei oft auch noch und führen zu den krummen "Dackelbeinen" (mehr dazu hier). Die Chondrodystrophie ist aber nicht nur für die kurzen Beine verantwortlich, sie geht häufig mit Veränderungen der Bandscheiben einher: Rückenprobleme sind vorprogrammiert. Auch diesen Faktor hatten wir bisher zu wenig berücksichtigt.

Das Hundefell als Tarnumhang.

Fell und Anatomie können trügerisch sein. Hunde mit sehr langem Fell und/oder weicher, lockiger Fellstruktur (dazu noch üppige Behaarung im Gesicht) sind deutlich schwerer zu lesen, als ein kurzhaariger Hund. Aufgestellte Haare sind hier kaum möglich und auch Fellwirbel, die auf erhöhte Hautspannung und damit ggf. Schmerzen hindeuten können, sind kaum zu sehen. Bei einem kurzhaarigen Hund mit (relativ) ursprünglichem Körperbau und Körperhaltung fallen auch Unreinheiten im Gangbild schneller auf, als bei einem tiefergelegten Plüsch mit krummen Beinen.

Dem Dude sehe ich von hinten an der Nasenspitze an, wie es ihm geht: Fellverwirbelungen kann man in seinem Stockhaar leicht erkennen, eine verkniffene Augenpartie oder Sorgenfalten auf der Stirn sind offensichtlich. Bei Rin ist das deutlich schwieriger: das Plüschfell steht auch im gekürzten Zustand in alle Himmelsrichtungen ab, die Gesichtsbehaarung verschleiert die Mimik. Und bei stark gekrümmten, verkürzten Beinen wird man auch einen Hoppelgalopp als gegeben hinnehmen. Einzig Rins Ringelrute ist ein zuverlässiger Indikator – trägt sie diese (vermeintlich entspannt) abgerollt, fühlt sie sich gar nicht gut.

Aber sie rennt doch dem Ball hinterher!

Diesen Aspekt habe ich bereits in einem anderen Artikel erläutert. Rin gehört definitiv nicht zu den Hunden, die ihren Kick aus körperlicher Anstrengung ziehen. Und doch liebt sie ihren Ball sehr und strengt sich auch für ein Leckerchen an. Gerade hier kann jedoch nicht deutlich genug gesagt werden: Es ist definitiv KEIN Indiz für Schmerzfreiheit, wenn ein Hund bei entsprechender Reizlage – sei es der geliebte Ball, das ersehnte Leckers, die verhasste Katze oder der verlockende Hase – losflitzt. Und auch ein vermeintlich „fröhliches“ Schwanzwedeln deutet in diesem Zusammenhang lediglich auf die Erregungslage hin – nicht auf Freude oder Wohlbefinden!

Das Ganze geht auch den umgekehrten Weg: Wenn man auf seinen Hund beim Spaziergang immer wieder warten muss, weil er hinterhertrödelt und ungewöhnlich viel schnüffelt, ohne dann zügig aufzuschließen, sollte das stutzig machen. Rin braucht für viele Dinge einfach länger, als ich das vom Dude (oder seinen Vorgängern) gewohnt bin. Wenn sie „Blümchen riechen“ geht oder ein Leckerchen suchen soll, dauert das eben. Als ich sie aber schließlich bei wirklich JEDEM Gassi immer wieder rufen musste, damit sie den Anschluss nicht verlor, wurde offensichtlich: da stimmt etwas nicht.

Handling leicht gemacht – oder auch nicht.

Als Rin vor vielen Jahren „Rudelmitglied“ beim Dude und Frau Schäferhund wurde, hatten sie und ich zu Beginn ein paar Differenzen: Sie verteidigte Futter und war beim Handling (Abtrocknen, Zecken entfernen etc.) sehr angespannt bis abwehrend. Das gab sich aber im Laufe der Zeit und war bald kein Problem mehr. So überraschte es mich, als Rin sich beim Abtrocknen wieder deutlich anspannte und Fell schneiden oder auskämmen mit Knurren quittierte. Dass hier körperliches Unwohlsein der Grund sein musste, war ganz schnell klar. Blieb nur die Frage: Wo genau liegt das Problem?

Die Summe der Auffälligkeiten führte uns schließlich zum Tierarzt. Da sich hier bei der Untersuchung jedoch kein Hinweis auf eine konkrete Ursache finden ließ, gab es Schmerzmittel. Zunächst nur testweise für ein paar Tage, verbunden mit der Empfehlung, es dann erst einmal mit Futterzusätzen für die Gelenke und Komplexmitteln aus der Apotheke zu versuchen. Nach über 6 Wochen mit diversen Pülverchen und Tablettchen war jedoch klar: das hilft nicht oder reicht nicht aus. Rin hatte sich unter Schmerzmedikation wie ausgewechselt gezeigt – die nun angewandten Mittel brachten nicht ansatzweise diesen Erfolg.

Das Problem gründlich durchleuchten – im wörtlichen Sinne.

Also ein erneuter Besuch beim Tierarzt, dieses Mal schon bei der Terminvereinbarung mit der Bitte um Röntgen. Und siehe da: die Überraschung war auf allen Seiten groß. Niemand – auch die Tierärztin nicht – hatte damit gerechnet, dass ein Hund mit lediglich unklarem Unwohlsein und gelegentlicher, minimaler Lahmheit mit derart deutlich ausgeprägten Arthrosen aufwarten würde! Beide Schultergelenke weisen massive Knochenzubildungen auf, die Hüfte verdient als Bewertung bestenfalls eine HD C/D und die Darstellung vom Übergang des letzten Lendenwirbels zum Kreuzbein deutet ebenfalls auf ein chronisches Schmerzgeschehen hin.

Daher wurde einstimmig beschlossen, dass Rin für die Zukunft dauerhaft Schmerzmittel erhalten wird. Operativ lassen sich die Probleme nicht lösen, gelenkunterstützende Präparate reichen nicht aus und zusätzliche Maßnahmen (Physiotherapie z.B.) können zwar prima unterstützen, die Schmerzen jedoch nicht ausreichend nehmen. Hier möchte ich noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass es in allererster Linie um die Lebensqualität des Hundes gehen muss: Schmerzlinderung – im Idealfall Schmerzfreiheit – hat oberste Priorität!

Nach Terrier-Art: nicht locker lassen!

Nun kann man geteilter Meinung sein, ob eine konkrete Diagnose als Beweis für körperliche Beschwerden denn sein muss. Man hätte sich natürlich das Röntgen sparen und einfach Schmerzmittel verabreichen können. Aber zu sehen, wie schlimm es um Rins Gelenke tatsächlich steht, hat ihrer Behandlung und weiteren Versorgung eine deutliche Dringlichkeit vermittelt. Und so konkret vor Augen geführt zu bekommen, wie tapfer sich dieser kleine Hund bisher durchs Leben geschlagen und was sie offenbar ausgehalten hat, verändert die Beziehung.

Wir haben für Rin noch weitere, zusätzliche Maßnahmen ergriffen – die Gabe von Schmerzmitteln ist nicht der einzige Ansatz. Aber ganz sicher der wichtigste. Was dem vierbeinigen Arthrosepatient sonst noch helfen kann und wie man ihm den Alltag erleichtert, was dabei beachtet werden sollte und wie man das Ganze am effektivsten umsetzt, erfahrt ihr im dritten Teil dieser Artikelreihe.

Ende Teil 2, Fortsetzung folgt. 
Den ersten Teil zum Nachlesen findet ihr hier.